: Deutschland, Irak und das Giftgas
■ Die Angst vor dem Wiederholungszwang DEBATTE
In jedem Zeitalter erhebt man sich gegen uns, um uns zu vertilgen“, so lernt es jedes jüdische Kind aus der Pessach-Hagada. Mit dem jüngsten Beschluß des Iraks, bei Ausbruch von Feindseligkeiten am Golf umgehend einen Vernichtungsschlag gegen Israel anzuordnen, hat ein Staat die Auslöschung von Juden wieder offen zu einem Hauptziel seiner Politik erklärt.
Seit dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait versucht Saddam Hussein durch eine immer radikalere Haltung gegenüber Israel, die arabische Welt hinter sich zu vereinen und die internationale Öffentlichkeit von seinen Hegemonialbestrebungen abzulenken: „Für die Probleme der arabischen Welt sind Israel und die Zionisten verantwortlich zu machen. Folglich werden wir bei einem Angriff Israel als Aggressor ansehen.“ Im Falle eines Krieges, so wurde dieser Tage in Bagdad beschlossen, werde sofort Israel angegriffen, um es nach Möglichkeit „auszuradieren“. Derartige Haßtiraden der irakischen Führung haben — ungeachtet der Frage nach einer militärischen Realisierbarkeit — dazu geführt, daß Saddam Hussein und seine totalitären Herrschaftspraktiken immer häufiger mit dem Nationalsozialismus und Adolf Hitler verglichen werden. Immerhin hat der irakische Diktator bereits in der Vergangenheit mehrfach skrupellose Massenmorde an Kurden befehligt und im Krieg gegen den Iran nahezu eine Million Menschen in den Tod getrieben. Besonders seine mit Chemiewaffen untermauerten Ausrottungsdrohungen gegenüber Israel und der traumatische Umstand, daß Juden zum zweiten Mal in diesem Saekulum durch deutsches Giftgas umzukommen drohen, haben diese historischen Assoziationen im westlichen Ausland hervorgerufen. In der Tat: Seit Adolf Hitler hat kein Herrscher so offenherzig eine Massenvernichtung von Juden beschworen und diese auch gezielt vorbereitet wie Saddam Hussein. Auch Hitler hatte kurz vor dem deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei die Schuld für den kommenden Weltkrieg vorsorglich den Juden angelastet. In seiner berüchtigten Rede vor dem Berliner Reichstag am 30. Januar 1938 hatte er für den Kriegsfall „die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ in aller Offenheit angekündigt. Man hüte sich davor, die irakischen Giftgasandrohungen nicht wörtlich zu nehmen.
Legitimierte Hitler seine Endlösungspolitik mit der sogenannten „Befreiung vom internationalen Finanzjudentum“, so hat Saddam die Vernichtung des Zionismus und die Befreiung ganz Palästinas auf seine Fahnen geschrieben. Kein Wunder, daß Le Pen und die radikale Rechte noch entschiedener gegen die westliche Golfpolitik auftreten, als es die radikale Linke sonst zu tun pflegt. Man dürfe Saddam Hussein nicht dämonisieren, rufen Kommentatoren allenthalben — und haben ihn damit selbst schon halbwegs verklärt, weil sie der treffenden Warnung nicht die Wirklichkeit eines faschistischen Tyrannen anfügen, den zu stürzen dringend geboten ist. Seit Jahren hat Saddam Hussein die arabische Welt auf den Endkampf gegen Israel eingeschworen. Dabei ging es ihm nie um eine gerechte israelisch-palästinensische Friedenslösung; fanatisch kämpfte er gegen die ägyptische und gegen jede Annäherung zwischen Israelis und Arabern. Niemand sollte so blauäugig sein, Saddams rein propagandistischer Instrumentalisierung der palästinensischen Sache Glauben zu schenken, die er doch in der Vergangenheit stets zu konterkarieren wußte.
Hitlers Judenhaß fand bereits in den 40er Jahren unter arabischen Nationalisten begeisterte Anhänger
Der manichäische Vernichtungswahn Saddam Husseins, der dem eines Hitlers und Stalins in nichts nachsteht, widerspricht keineswegs seiner kaltblütigen Pragmatik. Nur wenigen dürfte indes bekannt sein, daß die nationalsozialistische, panarabische Ideologie der irakischen Baath-Partei („Ein Volk, ein Reich, ein Führer“) auf das Gedankengut des Nationalsozialismus zurückgeht. Im Gegensatz zum westlichen Nationalismus mit seinem rechtlichen Verständnis einer Staatsbürgerschaft orientierte sich das arabische Nationalgefühl besonders in den 30er und 40er Jahren stark an der nazideutschen Identität. Diese definierte sich ja nicht am internationalen Völkerrecht, sondern in erster Linie durch Sprache, Kultur, Geschichte und „Rasse“. Vor allem der radikale Judenhaß Hitlers fand (und findet noch immer) unter arabischen Nationalisten begeisterte Anhänger. Kein Geringerer als Sami al-Jundi, der einstige Führer der syrischen Baath- Partei, hat dies stets hervorgehoben: „Wir waren Rassisten, wir bewunderten den Nationalsozialismus, lasen seine Bücher und die Quellen seiner Idee... Wir dachten als erste daran, Mein Kampf zu übersetzen. Wer in dieser Zeit in Damaskus lebte, kann die Neigung des arabischen Volkes zum Nazismus verstehen, denn er war die Macht, die Vorkämpfer der arabischen Sache sein konnte.“ Auch Michel Aflaq, der Begründer der irakischen Baath-Partei, der dort bis zu seinem Tode 1989 einflußreich wirkte, war ein glühender Hitler-Verehrer. Aflaq sah in Nazideutschland das geeignete Modell für eine Synthese von arabischem Nationalismus und Sozialismus. So gelten denn auch nach innen stramm faschistische Prinzipien im Irak. Seit ihrer Machtergreifung im Jahre 1968 ist die Baath-Partei für einen hemmungslosen Terror gegen Oppositionelle, Juden und Kurden berüchtigt und für die Folterung und Ermordung von Tausenden von Menschen verantwortlich. Entwicklungshistorisch betrachtet haben die Baathisten ihre faschistischen Herrschaftsmethoden direkt der NS-Ideologie entlehnt und später dann — unter sowjetischem Einfluß — stalinistisch legitimiert. Nun, da im Zuge des sowjetischen Machtverfalls in der arabischen Welt auch die ideologischen Grundlagen des „arabischen Sozialismus“ zusammengebrochen sind, greift Saddam zunehmend auf das historische Original zurück: Aus der arabischen Verbindung von Nationalismus und Sozialismus entwickelte sich im Irak ein mit islamischen Floskeln versehener Nationalsozialismus der grausamsten Prägung.
Sprechen wir es laut und deutlich aus: Beim Konflikt am Golf geht es nicht nur um die Sicherung von Ölquellen und um die Verteidigung der prowestlichen Golfstaaten; welthistorisch gesehen handelt es sich zugleich um den Kampf gegen den arabischen Faschismus und seine Führer. Westdeutschland, das für die jetzt auf Israel gerichteten irakischen Giftgasraketen ebenso verantwortlich ist wie Ostdeutschland für die Ausbildung der berüchtigten Todeskommandos der irakischen Geheimdienste, sollte sich den Verpflichtungen, auch im Krisenfall ein zuverlässiger Bestandteil des westlichen Bündnisses zu sein, nicht entziehen. Der jüngste Vorschlag linker SPD- Politiker, Deutschland solle die Bitte eines Bündnispartners um militärischen Beistand ausschlagen, zeugt von einer bemerkenswerten außenpolitischen Realitätsferne. Denn ein deutscher Sonderweg hat sich in der Vergangenheit stets als verhängnisvoll erwiesen und würde auch jetzt das antiirakische Bündnis empfindlich schwächen. Angesichts der gefährlichen Herausforderung durch den Irak ist eine entschiedene Haltung des Bündnisses aber ebenso geboten wie eine verantwortungsbewußte Kooperation. Ein deutsches oder — schlimmer noch — ein sowjetisches Ausscheren aus diesem wohl einmaligen Bündnis hätte unabsehbare Folgen für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung am Golf und würde die irakische Führung in ihrer unnachgiebigen Haltung eher noch bestärken. Sollte Saddam indes seine Ankündigung wirklich in die Tat umsetzen und Giftgas gegen Israel einsetzen, kämen womöglich zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert Bilder von vergasten Juden auf die Weltöffentlichkeit zu. Daß der 'Spiegel‘ den angedrohten Massenmord schon im Vorfeld lieber als „kollektiven Selbstmord“ Israels deklariert, belegt einmal mehr dessen notorischen Mangel an nüchternem Sachverstand, wenn es um den Nahen Osten geht; schließlich hat sich der ehrliche Salon-Antisemitismus Rudolf Augsteins längst einen ebenbürtigen Platz neben dem der berüchtigten 'Gartenlaube‘ erobert. Das auffällig laute Geschrei des 'Spiegels‘ gegen Israel vermag freilich nicht zu übertönen, daß die nunmehr reale Lebensbedrohung der Bürger Israels von Giftgas aus deutschen Landen und nicht von Jizchak Schamir ausgeht. So bleibt denn bei allen denkbaren Alptraumszenarien nur eine Hoffnung: daß dem Irak doch noch ein Verhandlungsfrieden aufgezwungen werden kann, ihm aber im schlimmsten Falle das gleiche Ende wie Nazideutschland blüht. Benny Peiser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen