: Ortho-Hexa-Tetra-Diphenyl-Thylen-Apfelsine
■ Was an der Zitrusfrucht so alles dran ist / Nach dem Schälen Hände waschen
Ein Gang über den Gemüsemarkt in der Innenstadt: gelb und orange leuchten Zitronen, Pampelmusen, Apfelsinen, Mandarinen und deren diverse Neuzüchtungen zwischen Winterkohl und Salaten. Der große Hit sind Clementinen, an denen noch echte Blätter sitzen, dazu ein Schild „natur“, „ungespritzt“ oder „unbehandelt“. Frage an einen Marktbeschicker: „Woher wissen Sie, daß ihre Zitrusfrüchte wirklich nicht gespritzt sind?“ Antwort: „Weil es auf der Kiste steht!“
Die oft überschätzten Vitamin- C-Spender aus den Mittelmeerländern werden in der Regel reichlich mit der chemischen Keule traktiert, damit sie die weite Reise zu uns überstehen: Nach der Ernte geht's in eine Waschlösung mit den Antischimmelmitteln Orthophenylphenol und Hexamethyltetramin, die ein Braunwerden der Schale verhindern sollen. Danach bekommen sie einen künstlichen Wachsmantel, der unter anderem Thiabendazol enthält, das in hohen Dosen selbst nach Auskunft der Industrie zu Appetitlosigkeit, Erbrechen und Schwindelgefühl führen kann. Die Früchte werden zum Nachreifen häufig mit Ethylen (auch „Äthylen“) begast, ein Stoff, der zur Zeit auf seine Krebsverdächtigkeit überprüft wird. Verpackungsmaterial wird mit Diphenyl imprägniert, das als krebserregend gilt. All das soll nur in der Schale stecken, kann bei falscher Dosierung aber auch ins Fruchtfleisch eindringen.
Schon vor der Ernte bekommen die Zitrusfrüchte einiges zu schlucken: stark verbreitet ist der Insektenkiller Aldicarb , der von der Wurzel aufgenommen und bis zur Frucht transportiert wird. Der Stoff ist hochgiftig für die Plantagenarbeiter, die die kleinen Kugeln ausstreuen. Als Langzeitwirkung kann das Immunsystem geschädigt und das Erbgut verändert werden.
Egon Hofemann, Marketing- Leiter des Bremer Fruchthofes, findet die Aufregung um Spritzmittel bei Zitrusfrüchten übertrieben: „Die Verbraucher müssen keine Bedenken haben. Wir lassen unsere Zitrusimporte regelmäßig von einem unabhängigen Bremer Institut untersuchen.“ Thiabendazol darf nach seinen Informationen nicht mehr verwendet werden. Alle anderen Mittel seien, im Rahmen der zulässigen Grenzwerte benutzt, völlig unschädlich.
Grenzwerte allerdings sind Streitwerte, nicht unbedingt nach objektivem medizinischen Ratschluß festgelegt, sondern verhandelbar zwischen staatlicher Sorgfaltspflicht, Lobbyisteninteresse und öffentlicher Beunruhigung, wie die Nach-Tschernobyl- Ära gezeigt hat. „Für Allergiker sind die offiziellen Grenzwerte ohnehin bedeutungslos“, sagt Andreas Kühne vom Institut für Mensch und Natur in Verden, der über ein umfangreiches Schadstoffkataster verfügt. Sie bekommen von der bloßen Berührung der chemisch behandelten Früchte schon Ausschlag. Amerikanische Wissenschaftler machen die Pestizidrückstände auf und in den Früchten auch für Kopfschmerzen und chronische Schleimhauterkrankungen verantwortlich (s. „Gift-Grün“, Kiepenheuer und Witsch, 1986).
Was tun? Ignorieren? Verzichten? Abwaschen läßt sich das giftige Zeug von der Schale jedenfalls nicht, erklärt Christel Grunewald von der Verbraucherberatung. Ihr Tip: Wenn man gespritze Ware kauft, nach dem Schälen unbedingt vor dem Verzehr die Hände waschen. Möglichst ungespritzte Zitrusfrüchte kaufen, vorzugsweise aus kontrolliertem biologischen Anbau, auch wenn das etwas teurer ist. Jahreszeitengemäß einkaufen, heimische Kohlsorten und Äpfel bieten ausreichend Vitamin C, das vom Körper ohnehin nur in begrenzten Mengen aufgenommen werden kann.
Verändertes VerbraucherInnenverhalten schafft auch ein verändertes Angebot, meint Egon Hofemann vom Fruchthof. „Die Produzenten bemühen sich, Spritzmittel zu verringern“, nicht zuletzt aufgrund steigender Kosten für die Chemie. Zur Zeit liegt das Fruchthofangebot an ungespritzter Ware allerdings „unter einem Prozent unseres Gesamtsortiments“. Annemarie Struß-v. Poellnitz
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