: Gewaltlosigkeit: eine Art zu leben
■ Betr.: "Der Guru und der Rabbi", taz vom 5.1.91
betr.: „Der Guru und der Rabbi“ (Mahatma Gandhi und eine aktuelle Schlußfolgerung) von Hannes Stein, taz vom 5.1.91
Der Artikel von Hannes Stein ist ärgerlich und das aus mehreren Gründen:
In keiner Weise wird sich mit den (Hinter-)Gründen für die Lehren und das Leben von Gandhi auseinandergesetzt, sondern nur einige — in der Tat schwer verständliche — Aussagen von ihm zur Aburteilung seiner gesamten Philosophie verwendet. Das halte ich nicht für vertretbar, zumal, wenn der Autor, wie im vorliegenden Fall, diese Philosophie gar nicht versteht und wohl auch nicht verstehen will. Dann nämlich sollte er lieber den Mund halten.
Aber es geht ihm wohl auch nicht um Gandhi, sondern darum, die Gewaltlosigkeit insgesamt als unsinnig hinzustellen. Aber auch da betreibt Herr Stein Effekthascherei:
Fazit 1: Gandhi hat nun mal seinen Kampf gegen die Engländer geführt und gesiegt; müßig ist die Frage, was geschehen wäre, wenn er mit kriegerischen Mitteln geführt worden wäre. Für den Sieg gewaltfreier Bewegungen gegen undemokratische Regierungen gibt es ja nun gerade in jüngster Zeit positive Beispiele.
Fazit 2: zu dumm, um was dazu zu schreiben.
Fazit 3: Mit der Golfkrise die Sinnlosigkeit gewaltlosen Handelns und Lebens beweisen zu wollen, verrät grundlegendes Unverständnis. Mit gewaltlosen Mitteln diesen Konflikt lösen zu wollen ist in der Tat schwer vorstellbar. Aber der Krieg beginnt nicht am 15.Januar 1991 und auch nicht am 2.August 1990, sondern schon viel eher, nämlich mit den ganzen westlichen Kriegsexporten nach Irak.
Gewaltlosigkeit ist keine Variante oder Taktik der gegebenenfalls auch kriegerischen Auseinandersetzung, sondern eine Art zu leben. Und da in der Tat kann der ganze Westen noch einiges lernen von Gandhi, und wenn er das nicht tut, wird es immer wieder neue Despoten, Irre von Bagdad und was auch immer geben. Hier gibt's die nämlich auch, die heißen nur anders. Axel Netzband, Hamburg
Ich ziehe da andere Schlußfolgerungen:
Fazit Nummer eins: Gewaltfreier Widerstand hatte nicht nur gegen das „vergleichsweise milde Imperium der Briten“ eine Chance, sondern schon viel früher: die christlichen Märtyrer besiegten das grausame Imperium der alten Römer. (Schade, was dann daraus geworden ist!) Vor kurzem starteten die Revolutionen im Osten ebenfalls meist gewaltfrei — und erfolgreich, und zwar gegen keineswegs milde Imperien! Doch darum sollte gewaltfreier Widerstand nicht etwa naiv als erfolgreiches Patentrezept propagiert werden, sondern als Gipfelpunkt humanistischer Handlungsweise.
Fazit Nummer zwei: Wenn Mahatma Gandhi nicht einfach als Heiliger abgetan, sondern als weiser Denker akzeptiert wird, der wie wir alle auch einmal irren darf, dann taugt er sehr wohl als Ratgeber. Hat er nicht Recht mit seiner Erkenntnis, daß eine Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft hin zu friedlicher Humanität mit Gewalt nicht zu erreichen ist? Haben wir immer noch nicht oft genug das grausige Schauspiel erlebt, wie die blutige Revolution ihre Kinder frißt? Die anarchistische Graswurzelrevolution hat daraus ihre Konsequenzen gezogen. Hier wird Gandhis Satz anerkannt, daß es keinen Weg zum Frieden gibt, sondern daß der Frieden der Weg ist. Und das hat vorher schon ein anderer weiser Mensch vorgelebt, von dem sonst nur wenig Authentisches überliefert ist: Jesus.
Zum dritten Fazit: Als Deutscher kann ich mir nicht den Kopf des toten Gandhis zerbrechen, um daraus Ratschläge für Israelis abzuleiten. Im übrigen aber, läuft dieses „tagespolitische Fazit“ doch wohl auf die unausgesprochene Empfehlung Hannes Steins hinaus, einen Krieg gegen den Irak gutzuheißen. Und das im Namen des Humanismus — nicht etwa für billiges Öl! Da sehe ich die von der taz großformatig abgebildete Geierscheiße auf Gandhis Kopf ganz woanders... Theo Krönert, Kaisersbach
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