Krieg im Wohnzimmer

■ Bemerkungen und Zitate aus der ersten Reihe

Niemals zuvor haben Menschen die Eskalation eines Konflikts bis hin zum ersten militärischen „Angriffsschlag“ so nah und in allen Einzelheiten miterleben können. Und dennoch: Was weiß man nach zwölf Stunden Dauerbeschuß aus allen Fernsehröhren über die Realität dieses Krieges? Nichts! Denn es gibt trotz aller Nähe nur eine Perspektive der Kriegsberichterstattung: die Perspektive des Siegers. Man sitzt im Wohnzimmer und sieht sich das an, und es ist, wie der SPD- Abgeordnete Manfred Opel so treffend sagte, ein „kleiner schöner Krieg, den man den Leuten gut verkaufen kann“. Und die Opfer? Bagdad habe unter den Bombenangriffen „geleuchtet wie ein Weihnachtsbaum“, sagte der Pilot nach der Rückkehr von seinem Einsatz, um dann „erst mal zu frühstücken“. Ein anderer will „abwarten, was wir getroffen haben, von oben sah es gut aus“. Was passiert eigentlich mit einem Giftgaslager, wenn es getroffen wird? Was mit einer Atomfabrik?

Es gab bis gestern abend keine Toten. Es gab nur Angriffswellen im 15-Minuten-Takt, Tarnkappenbomber, eine überlegene Nachtkampffähigkeit, Lufthoheiten, vorrückende Bodentruppen, einen klassischen Angriff und immer wieder die „Operation Wüstensturm“, in die die Journalisten so verliebt sind. Und: „Es könnte ein Blitzkrieg werden“, entschlüpft es dem Vegetativum des TV-Reporters. Bei den ausländischen Stationen ist das nicht besser. Denken und Sprache der Militärs dominieren. Selbst die Standard-Meldung, daß das Ausmaß der toten und verletzten Iraker noch unbekannt sei, unterblieb. Nur über die „geringen Verluste“ der Angreifer wurde berichtet. Voll unterrichtet sind wir aber darüber, daß Krieg gut ist fürs Geschäft. Auch die Kurse „schossen nach oben“ und die Rohölpreise gaben kräftig nach. Applaus!

In der Sowjetunion wurde das normale Rundfunk- und Fernsehprogramm unterbrochen und durch das Abspielen ernster Musik abgelöst. In Deutschland geht es auch am Tag des Krieges „weiter mit Musik“ und die Meldungen vom Krieg — Schubididu — wechseln in direkter Folge mit Rock-Hits, Schlagern und Werbung. Und im Fernsehen fliegt nach dem Moulinex-Werbespot der Tornado seine Ehrenrunde, um Raketenstellungen und strategische Ziele zu bombardieren. Bei Sat-1 drehte sich zwischen den Kriegsberichten sogar das Glücksrad. Nicht wenigen Fernsehzuschauern wird es gestern ergangen sein wie dem amerikanischen Bomberpiloten. „Man fängt fast an, sich wohlzufühlen“, berichtete der über seine Befindlichkeit während der Bombenangriffe. Dann sei ihm plötzlich eingefallen, daß es eigentlich gar keinen Grund gibt, um sich wohlzufühlen. Eigentlich. Manfred Kriener