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„Nennen Sie mich Kriegsgewinnler"

■ BremerInnen kauften Aktien, sobald am Golf die ersten Schüsse fielen

„Ja, sie können mich als Kriegsgewinnler bezeichnen, wenn Sie so wollen“, ging gestern von sich aus ein Bremer Beamter in die Offensive, der vor dem Monitor der Landesbank die Kurse studierte und zwischendurch auch schon mal „Scheiße“ sagte. Also, er hatte „immer schon auf den Kriegsausbruch gewartet“ und am Donnerstag schnell gekauft, denn: „Wenn es Waffenstillstand gibt, dann gehen die Kurse hoch.“ Er ist in bester Gesellschaft. „Wenn die Kanonen donnern, dann Aktien kaufen“, hatte der reiche Rothschild einst allen BörsenspekulantInnen geraten. Das geht nach der Logik: Krieg heißt Unruhe, Unberechenbarkeit, Störung der Im- und Exporte und deshalb zuerst Kurssturz. Wenn es dann wieder bergauf geht, lassen sich dicke Gewinne einstreichen.

Und mit diesem Strickmuster im Kopf rannten am Tag 1 des Golfkriegs, am Donnerstag, die privaten AnlegerInnen den Börsen die Bude ein. Auch in Bremen. In den Banken kamen die Makler kaum nach.

„Wir hatten mit rund 6% die höchste Kurs-Steigerung der Nachkriegszeit“, bestätigte der Geschäftsführer der Bremer Wertpapierbörse, Axel Schubert, der taz. „Mich hat das auch fasziniert und überrascht.“ In dem kalksandsteinernen, modern designten Gebäude in der Obernstraße sitzt er mit Doisneau-Fotos, Bildschirm und schöner moderner Kunst an der Wand im Büro und findet, daß „Spekulation übrigens bei uns kein böses Wort, sondern marktgerechtes Verhalten“ sei. Weltweit schnellten am Donnerstag die Kurse hoch, die BRD war dabei Spitzenreiterin.

Die BremerInnen, die besonders schlau sein wollten, auf die ersten Raketen spekuliert und sich mit Käufen bis dahin zurückgehalten hatten, haben sich eigentlich geschnitten. Denn die Kurse, ohnehin seit Osteuropa- und Golfkrise ziemlich im Keller, gingen mit den ersten Schüssen eben nicht noch weiter nach unten, sondern - nach oben. Damit folgten sie dem Trend der zeitlich früher abschließenden Fernost- Börsen. Auch ausländische, vor allem britische Kunden kauften bei Kriegsanbruch in Deutschland Aktien — „weil die Kurse niedrig und das Vertrauen in die deutschen Unternehmen groß ist“, vermutet Schubert. Die Signale aus Fernost, der private Kaufrausch und die ausländischen AnlegerInnen führten auch in Bremen zu dem beispiellosen Boom.

Sofern das überhaupt noch trennbar ist, wurden nicht bevorzugt direkt Aktien von Rüstungsfirmen gekauft, sondern die großen Banken-, Farben-, Auto- und Stahlwerte. Von den 25 Aktiengesellschfaten der Bremer Region spielte vor allem die Vulkan AG, Fregattenbauerin, eine Rolle: Sie stieg um sagenhafte 10%.

Am Freitag schon fielen die Kurse wieder um durchschnittliche 1,7%. „Macht Israel einen Gegenschlag? Dauert der Krieg länger?“ fragt sich ein Bankmakler, der in der Bremer Börse im Kundenauftrag kauft und verkauft. Kriegt man ein schlechtes Gewissen, wenn man Aktion kauft, sobald Raketen auf Menschen zielen? „Das ist doch unsere Marktwirtschaft“, wundert sich ein Anleger über die Frage, und der „Kriegsgewinnler“-Beamte schiebt nach: „Geld stinkt nicht.“

S.P.

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