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Chaos in der Justiz

■ Justizvertreter kritisieren Zustände in den neuen Bundesländern/ Richter kennen Gesetze noch nicht

Berlin. Gravierende Fehler in der Arbeit der Justiz in der ehemaligen DDR hat der Generalstaatsanwalt von Mecklenburg-Vorpommern, Alexander Prechtel, angeprangert. Die meisten Richter und Staatsanwälte aus den Ost-Ländern seien noch nicht mit dem Westrecht vertraut, kritisierte der ehemalige Pressesprecher der Generalbundesanwaltschaft. Die Bilanz der ersten Wochen als Generalstaatsanwalt in Schwerin falle ernüchternd aus, sagte Prechtel. Viele Alt-Bundesländer hielten sich mit ihrer Unterstützung zurück. Es sei ein Skandal, daß vier Monate nach der Wiedervereinigung noch kein einziger Staatsanwalt aus einem der norddeutschen Partnerländer Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein nach Mecklenburg-Vorpommern abgeordnet worden ist.

In den Staatsanwaltschaften und Gerichten geht es nach Prechtels Eindruck „so chaotisch zu, daß sich manchmal die Frage stellt, ob das rechtlich noch vertretbar ist“. So funktioniere die Strafjustiz überhaupt noch nicht. Die Folge sei, daß allein in Mecklenburg-Vorpommern etliche Personen hinter Gittern sitzen, bei denen längst hätte geprüft werden sollen, ob sie überhaupt noch im Gefängnis sein müssen. Umgekehrt würden Verdächtige auch bei Fluchtgefahr frühzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen, weil schlichtweg übersehen wurde, daß Fluchtgefahr eine Fortführung der U-Haft rechtfertigen würde.

Der sächsische Justizminister Steffen Heitmann warnte, der „Rechtsstaat ist in Gefahr“, wenn die Richter und Staatsanwälte bisher lediglich 35 Prozent des Gehalts ihrer westlichen Kollegen erhalten. Heitmann forderte den Bund und die westlichen Länder auf, für diesen Zweck einen eigenen Fonds zu bilden. Das Land Sachsen hat nach Heitmanns Angaben außerdem bislang nur 625 Richter und Staatsanwälte, die zudem noch auf ihre Belastung während der SED-Zeit überprüft werden müssen; der Bedarf dagegen liege bei etwa 2.000 Juristen. Solche Juristen, die mit bundesdeutschem Recht vertraut seien, könnten aber nur im Westen gefunden werden und müßten daher entsprechend besoldet werden. „Dreh- und Angelpunkt sind die Finanzen“, sagte Heitmann. adn

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