: Mozart, SDI und der Treibhauseffekt
Wissenschaftler aus aller Welt begehen in Washington ihren Jahreshauptgottesdienst/ George Bush eröffnete den Mammutkongreß — via Video/ Keine Spur von Rezession im US-Wissenschaftsetat/ Waffenforschung bleibt Hätschelkind ■ Aus Washington Silvia Sanides
Amerikas Wissenschaftswelt spendete begeistert Applaus, als Präsident Bush sie am vergangenen Freitag via Videoleinwand aus dem Weißen Haus zur Jahreshauptversammlung der scientific community in Washington begrüßte. Anlaß war die Jahrestagung der „American Association for the Advancement of Science“ (Amerikanische Vereinigung zur Förderung der Wissenschaft, AAAS), mit 150 Jahren die älteste und 135.000 Mitgliedern auch die größte Wissenschaftsorganisation der USA. Bushs „Auftritt“ war bestens vorbereitet: Wenige Tage vor Eröffnung der Konferenz der Superlative hatte das Weiße Haus den Budgetvorschlag für das Jahr 1992 vorgestellt — ein Budjet, das jedes Wissenschaftlerherz höher schlagen und den Rest der Nation vor Neid erblassen ließ.
Um 8,4 Milliarden Dollar will der Präsident den Etat für Forschung und Entwicklung gegenüber dem Vorjahr emporschnellen lassen, eine Steigerung um satte 8 Prozent, inflationsbereinigt. 5,5 Milliarden Dollar sollen in die Waffenforschung fließen — 15 Prozent mehr als in diesem Jahr. Ein Hinweis darauf, daß im Weißen Haus das Ende des Kalten Krieges ersatzlos gestrichen ist. Und dann preist der Präsident die Wunder der Technik, die das „Kriegsbild“ am Golf verändern: „Moderne Waffen ermöglichen es uns, Aggressoren zu begegnen, ohne daß es zu solch weitgehender Zerstörung und solch schweren Verlusten unter den Zivilisten kommt, wie in früheren Kriegen.“ Sprach's und verabschiedete sich von der versammelten Wissenschaftlergemeinde für einen Besuch bei „Arbeitern, die die Patriot-Rakete bauen“.
In jüngster Zeit war die Kritik aus Forscherkreisen immer lauter geworden, die USA drohten wegen finanzieller Engpässe ihre weltweite Führungsrolle in der wissenschaftlichen Forschung einzubüßen. Der aktuelle Etatvorschlag scheint sie zu widerlegen. „Ein naiver Zuschauer“, schreibt das Wissenschaftsmagazin 'Science News‘ nicht ohne Anerkennung, „würde angesichts dieses Budgets nicht auf die Idee kommen, daß sich die Nation in einer Rezession befindet“.
Merkwürdiges Interesse an Alternativenergien
In der Tat ist für alle gesorgt. Mammutprojekte, die unter Beschuß geraten waren, weil sie zu viel Geld verschlingen, werden ausnahmslos ausgesprochen großzügig bedacht: Der Teilchenbeschleuniger (Superconducting Super Collider), die Entschlüsselung des menschlichen Genoms (Human Genome Program, HUGO), das Weltraumlabor „Freedom“ und sogar das bereits totgeglaubte Starwars-Projekt (Strategic Defense Initiative, SDI).
Megaprojekte wie diese, moniert beispielsweise der Physiker Robert Park, seien reine Prestigeobjekte. Wesentlich relevanteren Wissenschaftszweigen werde dafür der Geldhahn zugedreht. Der Aufwand lohne sich nicht. Beispiel HUGO: Die Entschlüsselung der drei Milliarden Bausteine des menschlichen Genoms wird zunächst nur die Datenbanken auffüllen. Und der Nutzen bleibt umstritten, weil die Gefahr des Mißbrauchs auf der Hand liegt. Auch das Weltraumlabor bezeichnen einige Kritker als unverantwortbares Luxusstück. Immerhin ist der Kostenvoranschlag für die „Freedom“ von ursprünglich acht Milliarden schon jetzt auf 37 Milliarden Dollar geschnellt.
Doch nicht nur Mega-Projekten will Bush seinen Dollarsegen zuteil werden lassen. Überraschend verspricht der Präsident vom Videobildschirm herab auch Finanzierungshilfe für alternativer Energiequellen und die Förderung von Energiesparmaßnahmen. Wer den in der vorigen Woche bekanntgewordenen Energiewirtschaftsplan der Regierung noch in Erinnerung hat, reibt sich verdutzt die Augen: Darin nämlich setzt die Regierung weder auf Sparmaßnahmen noch auf Energiealternativen, sondern auf Atomenergie und die heimischen fossilen Brennstoffe. Der Budgetplan 92 weist eine wahre Explosion der Gelder für die Atomenergieforschung um 88 Prozent aus, für Energiesparmaßnahmen und alternative Energiequellen bleibt eine Steigerung um 17 Prozent.
An diesem Punkt haben die Wissenschaftler in den letzten Monaten anscheinend mehr gelernt als der Präsident. Angesichts des Golfkriegs, schreibt der Chefredakteur des AAAS-Wissenschaftsmagazins 'Science‘, müsse die Überwindung „unserer Abhängigkeit vom Öl“ unbedingte Priorität haben, die Forschung an Ersatztechnologien für das Erdöl sofort beginnen. Sonnenenergie sei „auf lange Sicht die wahrscheinlichste Alternative“.
Japan hat die Nase vorn
George Bushs großzügiger Budgetvorschlag wird noch den Rotstift des Kongresses zu spüren bekommen. Trotzdem werden die USA wie in jedem Jahr auch 1992 mehr in die Forschung stecken als Westeuropa und Japan zusammen. Deshalb sind die Klagen führender US-Wissenschaftler nur schwer verständlich, die Vereinigten Staaten würden im internationalen Rennen nicht mehr mitkommen. Am lautesten meldet sich dieser Tage Leon Lederman, Vorsitzender der AAAS und Physik-Nobelpreisträger, zu Wort. Er verlangt die Verdopplung des Forschungsetats in den nächsten Jahren.
Andere erwarten nicht in erster Linie mehr Geld, sondern eine Strukturreform der amerikanischen Wissenschaft nach japanischem Vorbild. „Den Japanern geht es gut und uns nicht“, bemerkte der Physiker Rustum Roy auf der AAAS-Konferenz, „weil wir zuviel rumforschen“, ohne dabei die Anwendung vor Augen zu haben. „Wir produzieren gute wissenschaftliche Ergebnisse, aber Japan ist die Nation der wissenschaftlichen Anwendung.“ Sein Lösungvorschlag: Der Kongreß soll ähnlich wie das japanische Forschungs- und Industrieministerium „MITI“ die Forschungsarbeit auf einige Bereiche beschränken und den Werdegang einer Erfindung vom Labor bis zum fertigen Produkt betreuen.
Das ist jedoch bei der amerikanischen Methode, die Gelder unters Volk zu bringen, nicht so einfach. Jeder Kongreßabgeordnete will die Wähler seines Wahlkreises mit Dollars und Arbeitsplätzen locken. Ob es dabei um Atom- oder Sonnenenergie geht, um Aids- oder Krebsforschung, um Luftreinhaltung oder die Entwicklung neuer Automotoren ist ihm oft gleichgültig.
Der Besuch auf der sechstägigen AAAS-Konferenz erweckt in der Tat den Anschein, daß in den USA an allem und jedem geforscht wird. Die Wirkung verschiedener Düfte auf die Konzentrationsfähigkeit von Lkw- Fahrern, psychosomatische Leiden der alten Nubier, Betrügereien unter Molekülen und die Beziehung zwischen Mozart und einem Star (gemeint ist der Vogel dieses Namens) — nichts von alledem entgeht dem Forscherdrang. Daneben werden selbstverständlich die großen Themen diskutiert: Krebs und Aids, Treibhauseffekt und Regenwaldzerstörung, Biotechnologie und Energieproblematik, der Ursprung des Kosmos, das Artensterben, Armut und Kriminalität in den Ballungszentren, auch Fragen der Abrüstung.
Nur eines suchen die Kongreßteilnehmer in diesem Mammutprogramm vergeblich: Das Neueste aus der Waffenforschung. Die allerdings schluckt über die Hälfte des Etats.
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