: Zwangspsychiatrisierung in Straubing
Weil er die Aussage verweigert, wurde ein 25jähriger U-Häftling in die Psychiatrie verlegt ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Seit einer Woche befindet sich der 25jährige Nürnberger Sven L. in der berühmt-berüchtigten psychiatrischen Abteilung Haus III der Justizvollzugsanstalt Straubing. L. steht im Verdacht, einen Brandanschlag auf das Nürnberger Einwohnermeldeamt versucht zu haben, in dem auch das Wehrerfassungsamt untergebracht ist. Daß L. bislang konsequent jegliche Aussage verweigert, wurde offenbar als „psychische Auffälligkeit“ gewertet und diente als Begründung zur Überstellung in das Haus III. Seine Anwältin konnte bei ihrem Besuch jedoch keinen Grund für eine Einweisung ihres Mandanten in die psychiatrische Abteilung feststellen.
Nach einer Reihe von bislang ungeklärten Brandanschlägen in Nürnberg und Umgebung vermeldete die Nürnberger Polizei am 19. Februar stolz, man habe „aufgrund intensiver Fahndungsmaßnahmen“ einen 25jährigen festgenommen, der „gerade im Begriff war, mit Molotow- Cocktails einen Brandanschlag auf das Einwohnermeldeamt zu verüben“. Die Staatsanwaltschaft erließ Haftbefehl gegen L. wegen versuchter schwerer Brandstiftung. Bei zwei Hausdurchsuchungen wurden zwei weitere Männer vorläufig festgenommen. Gegen sie wird jetzt wegen Beihilfe zur Brandstiftung ermittelt.
In der U-Haft machte Sven L. von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Eine Woche später wurde er, ohne daß seine Anwältin oder seine Eltern informiert wurden, in die psychiatrische Abteilung der JVA Straubing verlegt — aus „gesundheitlichen Gründen“ und auf „Empfehlung des Anstaltsarztes“, wie Justizpressesprecher Behrschmidt betonte. In Straubing solle eine „ergänzende Untersuchung“ zu seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit stattfinden.
Doch von einer derartigen „Untersuchung“ ist bislang nichts zu merken. Statt dessen bekam L. gegen seinen Willen und unter Anwendung von Gewalt bisher mindestens zwei Spritzen verabreicht. „Wir werden dich so lange spritzen, bis du redest“, sollen Pfleger zu ihm gesagt haben. „Wahrscheinlich handelte es sich um Neuroleptika in unterschwelliger Dosierung“, vermutet Käthe Lieder, Strafvollzugsreferentin der bayerischen Grünen.
Schon seit langem ist das Haus III unter anderem wegen Zwangsbehandlungen von Strafgefangenen mit zum Teil lebensgefährlichen Neuroleptika in die Schlagzeilen geraten. Nach einer mysteriösen Selbstmordwelle setzte die Opposition einen Untersuchungsausschuß im Landtag ein. Dabei kamen auch Disziplinierungsmaßnahmen gegen Insassenvertreter und Zwangsbehandlungen in Bayerns größter JVA ans Tageslicht.
„In Straubing hat sich seitdem überhaupt nichts geändert“, betont Käthe Lieder. Nach wie vor sind der hart kritisierte JVA-Leiter Otto und der Leiter von Haus III, Dr. Schwarz, im Amt. Für Käthe Lieder ist Sven L. kein Einzelfall. Ihr liegen Berichte von mehreren Gefangenen vor, wonach diese, ohne daß psychische Störungen vorgelegen hätten, in das Haus III eingeliefert wurden, um sie zum Reden zu bringen. Amnesty international hat bereits die Befürchtung geäußert, daß das Haus III „zur Disziplinierung mißbraucht“ werde.
Die „Prozeßgruppe Sven L.“ spricht in diesem Zusammenhang von „Zwangspsychiatrisierung“. Justizsprecher Behrschmidt weist dies als „absurd“ zurück. Bei Nachfragen nach den angeblichen „gesundheitlichen Gründen“ für die Einweisung ins Haus III verweist er auf das „Persönlichkeitsrecht“ des U-Häftlings und die „Schweigepflicht“ der Ärzte.
Für den 9.3. um 12 Uhr ruft die „Prozeßgruppe Sven L.“ zu einer Demonstration auf dem Marktplatz Straubing auf.
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