: Einzeln im Kollektiv
■ »Under the Name Babel« bei Nalepa und Schoen
In der biblischen Geschichte wird erzählt, daß Gott voll Zorn die Sprache der Menschen verwirrte, die im Auftrag des heidnischen Königs Nimrod ein Bauwerk errichteten — der Turm zu Babel sollte bis in den Himmel reichen. Die Vielsprachigkeit der Menschen, das Thema Kommunikation ist das Leitmotiv des Gemeinschaftsprojektes dreier amerikanischer Künstlerinnen. Unter dem Titel »Under the Name Babel« zeigen Christina Barroso, Alison van Wyck und Barbara Penn ihre Ausstellung in drei Berliner Galerien.
Amerika als Land der long-distance-calls, der Anrufbeantworter und der Telekommunikation, aber auch als multikulturelles Einwanderungsland kennt keine wirklich gemeinsame Sprache. Die unterschiedliche Herkunft reduziert die verbale Verständigung auf ein oft minimales Maß. Menschen als kollektive Wesen brauchen jedoch eine differenzierte Kommunikation, um sich zu entwickeln, zu überleben und politisch zu handeln.
Dort, wo Sprache nicht mehr greifen kann, werden die visuellen Möglichkeiten wichtig. Gemeinsame Erfahrungen, die Voraussetzung gemeinsamer Begriffe sind, finden sich als antropologische Konstanten in den elementaren Grundlagen des Lebens, dem Erleben von Zeit, von Geburt und Tod und in der Auseinandersetzung mit der Natur. Diese sind auch die Quellen der Mythologie; die Beschreibung der Welt in Geschichten, Ritualen, visuellen Zeichen, im künstlerischen Ausdruck.
Wenn Barbara Penn sagt, ihre Darstellung von Zeit und Geburt seien »in eine zeitlose Betrachtungsweise erhoben«, die sich nur in der Imagination entwickele, meint sie die Neuschöpfung der Wirklichekeit im subjektiven Erleben des geschichtlichen Menschen. Ihre Arbeiten umgibt eine suggestive Ruhe. Die hellfarbigen Ölbilder zeigen schlichte, in sich gespannte, geschlossene Formen und freie Linien, die sie als »Gefühl zwischen den Menschen« beschreibt. Empathie wird hier der Zugang zur Welt des anderen. In einem ihrer Objekte verwendet sie die haptischen Zeichen der Blindenschrift und (To the Matters of blind Women) ein Lochband eines automatischen Klavieres. Sie arbeitet mit der Vorstellung, ein anderer Sinn als das Auge »sähe«.
Die in Brasilien geborene Malerin Christina Barroso findet ihre Bildsprache in Vereinfachungen. Lebendige Linien, Spiralen, Punkte, Kreuze sind auf Flächen von archaischer Farbigkeit gearbeitet. In der formalen Reduktion entspinnt sich eine visuelle Magie. Ihre Arbeit »Invitation Cards« ist eine Sammlung von Vernissage-Einladungskarten, denen sie durch Übermalungen ihre bildnerische Antwort auf das Angebot gibt, eine fremde Formulierung der Realität zu entziffern.
Alison van Wyck benutzt herausgetrennte Blätter aus dem Websters Dictionary als Malgrund und bearbeitet sie zu wandfüllenden Installationen. Der zerrissene Wegweiser durch das angesammelte Wissen wird durch eigene Chiffren umgedeutet, sie ergänzt das Buch durch ihr Art der Welterfahrung, die in keinem Lexikon repräsentiert wird. In der Arbeit »Inverted Tower« sind visionärmystisch anmutende Bilder wie in einem weit aufgefächerten Altar angeordnet.
Vielschichtig und vielfältig wird in ihrer Kunst, analog zur Kunstproduktion aller Völker, Phantasie, Sensibilität, Behaupttungswillen gegen bedrohende Mächte einsichtig, werden eigene Bilder visuellen Fremdbestimmung entgegengesetzt. In der Präsentation der Arbeiten als Gemeinschaftsprojekt das aus einer intensiven Zusammenarbeit im Atelier entstanden ist, zeigen sie die Möglichkeit einer Verständigung über den künstlerischen Ausdruck.
Indem sie ihre individuellen Mythologien vortragen, schließen die Künstlerinnen die Lücke in der Kommunikation jedoch nicht. Die Sehnsucht nach einer weiterführenden Verständigung bleibt. Babel ist im l'art pour l'art nicht überwunden. Susanne Thäsler
bis 30.3. in der Galerie Nalepa, Pariser Str. 56, 1-15, Mo-Fr 12-18.30, Sa 11-15 Uhr, in der Galerie Schoen, Mommsenstr. 62, 1-12, Di-Fr 14-19, Sa 11-15 Uhr, in der Edition Schoen, Wilmersdorfer Str. 94, 1-12, Mo-Fr 10-18 Uhr
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