: „Warte nicht auf bessre Zeiten“
■ „Ein deutsches Schicksal — Nachdenken über Robert Havemann“, West 3, 20.45 Uhr
„Na ja, der Robert“, sagt Wolf Biermann und wiegt den Kopf. In diesem „Na ja“ liegt viel Dankbarkeit darüber, daß Robert Havemann seinem Freund Wolf geholfen hat, als der Liedermacher in der DDR verboten war, und auch Trauer über verlorene Zeiten — ja, tatsächlich Trauer über bessre Zeiten unter dem sozialistischen Regime der SED. Wolf Biermann besinnt sich auf die vergangenen Tage im Hause Havemanns in der Gründheide und findet es „alles eher vergnüglich“. Man redete frei und offen, Robert Havemann meistens in Richtung der Deckenlampe, weil er dort das Mikrophon der Stasi vermutete. Später stellte sich heraus, daß die Wanze in der Scheuerleiste versteckt war.
Das muß der andere Blick sein, vielleicht sogar ein Stück DDR-Identität, das sich Thomas Schmidt und Hans-Dieter Rutsch ins nun vereinte Deutschland hinübergerettet haben. Bild für Bild demontieren die beiden DEFA-Dokumentarfilmer unser Wessi-Wissen über Robert Havemann; unsere damals mit dem Kalten-Krieger-Blick gewonnene Erkenntnis über ein Denkmal des Martyriums unter sozialistischem Drangsal zerplatzt.
Es war nicht alles ganz anders, aber eben doch etwas differenzierter. „Warte nicht auf bessre Zeiten“ — Biermanns so altertümliche und naive Volksweise noch einmal beim Wort genommen: Robert Havemann hat nicht nur den Diskurs der DDR- Opposition mit seinen linken Utopien belebt, sondern auch über lebenswichtige Dinge debattiert, indem er zum Beispiel stundenlang über die Vorteile des Rauchens sprach, und später, nachdem er es sich abgewöhnt hatte, über das Nonplusultra des Nichtrauchens. Wir erfahren, wie die Nachbarn den Bewachern des Hauses, als Havemann 1976 unter Hausarrest gestellt wurde, ganz treffende Namen verpaßten: „Schweinchen Dick“, „Hinkebein“ oder etwa „Bockwurst“, weil er feiste Würste kettenlutschte.
Vor der Verniedlichung der repressiven Maßnamen der DDR-Regierung bewahren O-Töne von Jürgen Fuchs und anderen, die an die Härte der Verfolgung erinnern. Aber es war anscheinend doch nicht so einfach trist, so eindeutig brutal, wie wir es uns immer vorgestellt haben. Nach diesem Film bleibt lachendes Entsetzen zurück über die ganz eigene Banalität des Bösen, die das SED-Regime gepflegt hat. Da notiert eine Staatsanwältin peinlich genau, wieviele Mahlzeiten die Havemanns während der Durchsuchung zu sich genommen haben, und entlarvt sich dann bei der Beschlagnahmung der Literatur als nicht sonderlich belesen, weil sie viele Renegaten im Regal übersieht. Es ist diese Mischung aus Dummheit und zynischer Demonstration der Macht, die das Regime so unberechenbar machte und den Freunden im Hause Havemann gleichzeitig vergnügliche und böse Stunden versprach. Christof Boy
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