: Bewußtseinsvernebler
■ Betr.: "Hardthöhe debattiert Berufsarmee", taz vom 19.3.91
Betr.: „Hardthöhe debattiert Berufsarmee“, taz vom 19.3.91
Als Kommunikationsmittel in einer „links-alternativen Bewegung“ habt Ihr eine politische Verantwortung, die Ihr ja einst auch bewußt gewollt habt. Daher bitte ich Euch, Euch nicht zum Organ für Bewußtseinsvernebler von zweifelhaften Subjekten und politischen Hinterwäldlern zu machen.
Bzgl. der Wehrpflicht ist der Sachverhalt einfach: da sich die Bundesregierung vertraglich verpflichtet hat, die Bundeswehr auf 37.000 Mann zu reduzieren, und da die Professionalisierung der Bundeswehr keineswegs reduziert werden soll — im Gegenteil —, ist die Wehrpflicht in der bisherigen Form politisch nicht mehr haltbar.
Keineswegs gibt es aber irgendeinen Gedanken daran, das wirkungsvollste Mittel einer Bevölkerungskontrolle und -steuerung aufzugeben. So wird bei einer angeblichen Abschaffung auch „ganz nebenbei“ von einem arglosen „Sozialdienst“ gefaselt. Es geht in Wirklichkeit um nichts anderes, als die Wehrpflicht zu einer Allgemeinen Dienstpflicht, sodaß die Bundeswehr hier keinen Verlust erleidet, im Gegenteil, in der „freien Wahl“ des Dienstes von der Auslese der Engagierten profitiert.
Klar ist, daß eine Allgemeine Dienstpflicht auch die Frauen erfassen wird. Evtl. wird man den Frauen erlauben, auf der „Freiwilligenbasis“ dann auch „gleichberechtigt“ Wehrdienst ableisten zu dürfen. Wie auch jetzt schon beim Zivildienst, wird aber der „harmlose Sozialdienst“ im zivil-militärischen Komplex eingebunden sein: für den „Verteidigungsfall“ und für Katastrophenschutzübungen. Für den modernen Großkrieg kommt es ohnehin auf den logistischen Bereich an, während man für die Front (am Golf oder in sonstigen Regionen, wo man sich der 1. Welt widersetzen will) nur das selbstmörderisch-aggressive Potential braucht.
Die Einführung der Allgemeinen Dienstpflicht wird ein historischer Schritt in die Refeudalisierung der Formaldemokratie sein. War die Wehrpflicht in Dauer und Umfang immer durch außenpolitische Gegebenheiten begrenzt, so entfaltet sich in der Dienstpflicht, ganz nach der Orwellschen Logik, voll und ganz der eigentliche innenpolitische Charakter. Die Allgemeine Dienstpflicht ist ein Ermächtigungsgesetz, mit dem die Herrschenden „zur Dämpfung der Arbeitslosigkeit“ und zur Bewältigung der „sozialen Deinste“ politisch irrealevante Bevölkerungsteile letztlich beliebig arbeiten lassen kann.
Nachdem nun offenbar wird, daß der Demokratiegehalt der Wehrpflicht eine politische Fiktion auch der Linken war, zeigt sich im Augenblick ein Blinder Fleck der Friedensbewegung, die den staatlichen Ausbau des Zivildienstes noch immer für antimilitaristisch hält. Christoph Rosenthal, Witten
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