: Gehört die Justiz der Regierung?
■ Mißtrauensantrag gegen Frankreichs Regierung Rocard wegen Einmischung in Justizangelegenheiten
Paris (taz) — Die Parteispendenaffäre läßt der französischen Regierung keine Ruhe. Nachdem die Staatsanwaltschaft von Le Mans dem Untersuchungsrichter Thierry Jean- Pierre einen delikaten Fall entzogen hat, weil er „voreingenommen“ und „aus rein persönlichen Erwägungen“ gehandelt habe, beantragten die Oppositionsparteien am Dienstag abend einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Nach Ansicht der Konservativen behindert die Regierung die Untersuchung des Falles.
Richter Jean-Pierre ermittelte gegen die Firma Urba-Technic, die im Mittelpunkt der Affäre um die illegale Finanzierung der Sozialistischen Partei steht. (Der vor drei Wochen gefeuerte Polizeiinspektor Gaudino hatte die Affäre aufgespürt. Die Regierung hatte daraufhin ein Amnestiegesetz erlassen, das alle Parteien reinwaschen sollte.) Am Sonntag forderte der Richter fünf Polizisten an, um das Pariser Büro von Urba-Technic zu durchsuchen. Der Polizeidirektor von Le Mans gibt an, er habe Jean-Pierre daraufhin telefonisch mitgeteilt, er könne ihm keine Beamten zur Verfügung stellen, weil ihm der Fall entzogen worden sei.
Der Richter eilte dennoch nach Paris und begab sich, zusammen mit zwei Zeugen, in das Büro von Urba- Technic, wo er als erstes die Schlösser auswechseln ließ. Daraufhin arbeitete er sich ungestört durch die Akten der Firma und hinterließ fünf sorgsam versiegelte Kästen voller Dossiers. Erst anschließend will er erfahren haben, daß ihm der Fall entzogen wurde.
Justizminister Henri Nallet warf Jean-Pierre „politische Manipulation“ vor, der beigeordnete Justizminister Georges Kiejman verurteilte den „richterlichen Einbruch“: „Die Justiz gehört nicht der Regierung, sie gehört aber auch nicht dem einen oder anderen jungen Richter, der meint, er muß sich in Dinge einmischen, die nicht in seine Kompetenz fallen.“ Empört wies Kiejman Vorwürfe zurück, wonach die Regierung die Unabhängigkeit der Justiz beschnitten haben soll. Genau dieser Eindruck setzt sich jedoch durch. Der Anwalt Alain Boucheron, der gemeinsam mit Thierry Jean-Pierre ein „Forum für die Justiz“ gegründet hat, erklärte: „Täglich kommen neue Affären ans Licht.“
Auch wenn die konservativen Abgeordneten am Donnerstag geschlossen hinter dem Mißtrauensantrag stehen, hängt das Überleben der Regierung Rocard dennoch von den 26 kommunistischen Abgeordneten ab, die jedoch gestern beschlossen, der Abstimmung fernzubleiben. Bettina Kaps
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