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Verbrennen nicht widerlegen

Zu einer Ausstellung von Moskauer Konzeptualisten in Frankfurt  ■ Von Martina Kirfel

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Ein trostloses weites Feld beim Dorf Klowy Gorki: In der Ferne taucht eine Gestalt auf, nähert sich, kommt ganz nah und verschwindet wieder. Eine nächste taucht auf, rückt näher, verschwindet. Eine scheinbar endlose Zahl Einzelner taucht aus der Weite empor und löst sich wieder in ihr auf.

80 Meter mindestens mißt diese schwarz-weiße Fotoserie von Moskauer Künstlern aus dem Jahre 1979. Sie fotografierten sich selbst und nannten diese Dokumentation ihrer Isolation und Vereinzelung Ort der Handlung. Dieselbe Gruppe formierte sich 1981 inoffiziell zum „Moskauer Archiv der Neuen Kunst“ (MANI), 1988 gründete sie in der Nähe von Klowy Gorki das MANI-Museum als Aufbewahrungsort für Kunstwerke, Samisdat- Literatur, Zeitdokumente und als Galerie aktueller Kunst. Im Frankfurter Karmeliterkloser ist erstmals im Ausland eine Gesamtschau der Gruppe MANI zu sehen.

Zu MANI gehören an die 40 Künstler, die sich in die Tradition der Moskauer Konzeptualisten der siebziger Jahre stellen. Ihre Werke sind der Concept Art westlicher Prägung verpflichtet, jenem Programm von Kunst, das die materielle Durchführung des einzelnen Kunstwerks in den Hintergrund stellt und dem Betrachter Ideen und Projektpläne hauptsächlich in Form von Skizzen und Entwürfen anbietet. Bei dieser „Kunst im Kopf“ zählt die Idee. Unter den Sonderbedingungen in der UdSSR freilich besaßen die Ideen- Kunstwerke der inoffiziellen Künstler von vornherein eine politische Dimension. Sie waren Widerstandsakte — wie verschlüsselt, banal oder mehrdeutig sie auch zu sein schienen. Sie wurden alle vor dem Hintergrund der offiziellen Ideologie und der offiziellen Kunst reflektiert.

Für die inoffizielle sowjetische Kunst der achtziger Jahre gab es nur wenig Entfaltungsmöglichkeiten. Die Künstler hatten keine oder nur winzige Ateliers, kaum das notwendige Material für ihre Bilder oder Objekte und häufig genug wurden sie von den Behörden verfolgt. Erst 1988, als große internationale Auktionen die russische Avantgarde- Kunst aufwerteten, ließen die Repressionen nach.

In den siebziger und frühen achtziger Jahren blieb den Künstlern nicht viel anderes übrig, als zum Beispiel „Kunst im Freien“ zu praktizieren, eine Art erzwungener „Land Art“ in der Provinz, wo sie relativ unbehelligt von den Behörden blieben. Oder sie beschränkten sich auf „Apt Art“ (Apartment Art), auf Bilder und Objekte für die engen Moskauer Wohnungen. Beide Kunstformen dokumentiert die Frankfurter Ausstellung, deren Konzept die MANI-Mitglieder Igor Makarewitsch und Sergej Romaschko entworfen haben.

So steht die meterlange Fotoserie für die Land-Art-Projekte von MANI. In der Ausstellung ist sie von einem Labyrinth von Stellwänden umschlossen: Um die Atmosphäre möglichst authentisch zu gestalten, brachten die Künstler Moskauer Tapeten mit, genau diejenigen, die dort in deprimierender Eintönigkeit in fast allen Wohnungen zu finden sind. Die Blumen- und Rokoko-Dekors verleihen den Avantgarde-Artefakten einen eigentümlichen Reiz. Der muffige Spieß des real-sozialistischen Hintergrunds verfremdet sie und designiert sie zugleich als historische Dokumente einer Politik, die die Avantgarde-Kunst in den Privatbereich verbannte. Da hängen düstere Materialbilder auf Rosentapeten, Malerei für Blinde zum Beispiel, eine schwarz-monochrome Tafel mit spärlichen bunten Noppen von Jurij Albert. Da reiten, von der Hand Andrej Filippows in Öl gemalt, Die Recken Marx, Engels und Lenin, angetan mit mittelalterlichen Rüstungen. Da prangen farbenprächtige Wandbehänge, bevölkert zum Beispiel mit Bauern, gebratenen Hähnchen und Bogenschützen mit brennenden Pfeilen. Verbrennen heißt nicht widerlegen lautet der Titel der Aktionsgruppe „Die Weltmeister“.

In einem weiteren Raum werden Bilder und Objekte in tapezierten Nischen präsentiert. Der Erstling von Wladimir Sorokin liegt als Gipsklumpen in schwarzen Windeln auf einem schwarz verhüllten Tisch. Das Arrangement erhält durch die Moskauer Kindertapete, leuchtend giftige Fliegenplize auf weißem Grund, seinen Biß. Etwas weiter verspricht ein Guckkasten von Georgij Kiesewalter Das perfekte ästhetische Erlebnis. Schaut man in die Okulare, blenden einen mehrere Blitze — einen Moment lang sieht man gar nichts mehr.

Dieses vorügergehende Erblinden entspricht ein wenig dem hilflosen Gefühl des westlichen Besuchers angesichts dieser Ideen-Kunst aus einer ihm weitgehend unbekannten Welt. Mühsam entziffert er Kyrillisches, identifiziert mit Hilfe sowjetischer Besucher Portraitbüsten, vermeint vage Bezüge zur russischen Literatur oder Volkskunst zu erkennen. Doch ihm fehlt das visuelle und verbale Vokabular, die Vielschichtigkeit dieser Terra incognita aufzuschlüsseln oder ihre Mehrdeutigkeiten spielerisch zu reflektieren. Die Veranstalter helfen ihm nicht. Lediglich die Bildtitel sind übersetzt, noch nicht einmal die längeren Kommentare auf den Bildern selbst — ein häufiges Stilmittel der MANI- Künstler.

Erklärende Kommentare fehlen fast völlig. Kein Wunder, daß viele Besucher eine nur kurze Runde durch die Ausstellung drehen, um sich dann mit dem Katalog, von dem sie sich etwas mehr Aufschluß erhoffen, in das nächste Café zurückzuziehen. Doch auch der Katalog gibt wenig Einzelinformation zu den Kunstwerken, die Beiträge der MANI- Mitglieder enthalten allerdings Interessantes über die aktuelle Situation der Avantgarde.

„Die inoffizielle Kunst war von Anfang an unausweichlich in die Auseinandersetzung mit der herrschenden Ideologie verwickelt. [...] Als diese vorbedingte Dispositon verschwunden war, fanden sich die Avantgarde-Künstler gleichsam in einem luftleeren Raum“, schreibt Sergej Romaschko. Zwar wirkte das Nachlassen der Repressionen um 1988 zunächst euphorisierend auf die Künstler, eine Vielzahl von Bildern entstand in allerkürzester Zeit. Doch die Ernüchterung folgte bald. MANI setzte sich in der allgemeinen Orientierungslosigkeit zum Ziel, wenigstens das Vergangene festzuhalten und die Entwicklung des Moskauer Konzeptualismus der achtziger Jahre zu dokumentieren: das MANI-Museum. Auch bestand offensichtlich das Bedürfnis, eine Institution zu schaffen, die Anker und Bezugspunkt bilden konnte und die zugleich den Beweis dafür darstellte, daß die Perestroika-Kunst der späten achtziger Jahre keine creatio ex nihilo war, sondern daß die Konzeptualisten zum Beispiel ihr den Weg bereitet hatten.

Doch Avantgarde-Kunst läßt sich weder institutionalisieren noch auf eine Tradition festschreiben, und die Künstler des MANI sind sich dieses Dilemmas bewußt. Andere Avantgarde-Gruppen, zum Beispiel die sogenannten russischen „Postmodernen“, wechselten rechtzeitig und mit Geschick auf die West-Linie. Sie wurden dafür belohnt, denn Sammler aus dem Westen, z.B. Peter Ludwig, kauften ihre Werke zu ansehnlichen Preisen und machten sie über Nacht berühmt. MANI steht dieser Kommerzialsierung mit Reserve gegenüber. Die Orientierung am West- Markt sei nur eine andere Ausdrucksform der allgemeinen Verunsicherung, die sogenannte russische „Postmoderne“ bleibe in einem Land, das gar keine richtige Moderne erlebt habe, ein „gewagtes Experiment“.

Die inoffizielle Kunst hat es heute daher kaum leichter als zuvor. Noch immer wird das „realistische“ Epigonentum vom Staat als offizielle Kunst untestützt. Die neue Phalanx der Kommerzialisierung ist zu unberechenbar, als daß man auf sie zählen könnte. Viele „Heroen“ der oppositionellen Kunst werden vom Markt nicht belohnt. Mit den ökonomischen Schwierigkeiten wächst die inhaltliche Desorientierung. Sollte sich die Demokratisierung weiter durchsetzen, werden die Avantgarde-Künstler der UdSSR darauf verzichten müssen, den Sinn ihrer Arbeit in der Auseinandersetzung mit dem repressiven System zu sehen. Sie werden sich an den „luftleeren Raum“ gewöhnen müssen, an Pluralismus und Beliebigkeit. Ganz wie die Kollegen im Westen.

Die Ausstellung läuft bis 25. April. Der Katalog in deutscher und russischer Sprache kostet 10,— DM.

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