: Keine Rollis in den Ku'damm-Kinos
■ Behindertenplenum fordert Beteiligung am Stadtforum
Lichtenberg. Haben Sie schon mal eineN der 20.000 Berliner RollstuhlfahrerInnen in einem Ku'damm- Kino entdeckt? Wahrscheinlich nicht. Dafür sorgen die Brandschutzbestimmungen. Und die Architekten. Denn die haben die Kinos so geplant, daß unsere Mitmenschen auf Rädern im Notfall garantiert die Fluchtwege verstopfen — und deshalb gar nicht erst hereindürfen.
Die TeilnehmerInnen des zweiten Gesamtberliner Behindertenplenums forderten deshalb am Montag in einer Protesterklärung, daß der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer (CDU), auch Behinderte und deren VertreterInnen in das Stadtforum beruft. In diesem Gremium sollen unterschiedliche Interessengruppen neue Stadtplanungsideen für das zukünftige Berlin entwerfen. Doch bereits in der Planungsphase gilt auch hier bisher: Behinderte bleiben draußen. Für Eckehard Porst von »Mobilität für Behinderte« stehen nicht nur ausreichend breite Türen auf dem Spiel: »Durch den baulichen Rahmen bestimmen auch die Architekten den zukünftigen Zeitgeist und die Akzeptanz der Behinderten.«
Die Betroffenen diskutierten jedoch nicht nur die räumliche, sondern auch ihre finanzielle Diskriminierung. Denn noch immer werden sie durch ihre Behinderung in der Regel automatisch zu SozialhilfeempfängerInnen. Grund: Das pauschal und einkommensunabhängig gewährte »Berliner Pflegegeld« (je nach Behinderung zwischen 350 und 1.600 Mark) ist vom Gesetzgeber lediglich als Ausgleich für Mehrausgaben, nicht aber als Finanzierung des gesamten Pflegeaufwands vorgesehen. Bleibt also nur, beim Sozialamt alljährlich die sogenannte »Hilfe zur Pflege« zu beantragen — »eine erniedrigende Prozedur«, so Rollstuhlbenutzer Porst: Oftmals trieben die Sozialämter ältere Behinderte durch gezielte Mittelkürzungen in die Heime. Weil die Sozialämter außerdem direkt mit den Wohlfahrtsverbänden abrechnen, bräuchten sich diese bei der ambulanten Pflege nicht dem offenen Wettbewerb zu stellen — ebenfalls auf Kosten der Behinderten. Und durch die teilweise Aufrechnung der Sozialhilfe mit dem »Berliner Pflegegeld« verringere sich der Betrag, über den Behinderte ohne Nachweispflicht über die Verwendung frei verfügen dürfen.
In der Ex-DDR beziehen die Behinderten, die früher eine Invalidenrente bis 180 Mark erhielten, heute gerade 59 Prozent der westlichen Sozialleistungen. Als Konsequenz wandern inzwischen viele als Hilfskräfte in den Westen ab.
In einer Resolution an den Regierenden Bürgermeister Diepgen protestiert das zweite Gesamtberliner Behindertenplenum gegen die drohende Kürzung des Berliner Pflegegeldes. Weitere Forderungen sind unter anderen die Abschaffung der Heimandrohung aus Kostengründen und die Einsetzung eines Behindertenbeauftragten im Range eines Senators oder Staatssekretärs. Marc Fest
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