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Tarifparteien müssen weiter ohne Zahlen verhandeln

■ Frühjahrsgutachten und Waigel gegen schnell steigende Ost-Löhne

Berlin/Bonn (taz/dpa/ap) — Nachdem die fünf führenden Konjunkturforschungsinstitute ihr Frühjahrsgutachten veröffentlicht haben, bläst vor allem den Gewerkschaften der Wind ins Gesicht. Wie die Institute selbst warnte Bundesfinanzminister Waigel am Montag vor einer „falschen lohnpolitischen Weichenstellung, die die Produktivitätsentwicklung nicht berücksichtigt“. Die Tarifparteien trügen entscheidende Verantwortung für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die sich daraus ergebenden finanziellen Belastungen.

Die Institute hatten die Schwäche der ostdeutschen Arbeitgeber mit den Worten beklagt, bei der Lohnpolitik schienen „alle Dämme gebrochen zu sein“. Wirtschaftsverbände bezeichneten das Gutachten als realistisch und sehen eine zuversichtliche Perspektive. Die Arbeitgeber lehnten allerdings die Forderung der Institute ab, auch den Staat über die Treuhand an den Tarifverhandlungen zu beteiligen. Dazu hieß es, man fürchte eine zu starke politische Beeinflussung der Tarifverhandlungen.

In ihrem Gutachten erwarten die Institute für Ostdeutschland im laufenden Jahr einen weiter deutlichen Rückgang der Produktion und eine klare Aufwärtsentwicklung erst ab 1992. In Westdeutschland schwächt sich der Vorhersage zufolge das Wachstum des Sozialprodukts in diesem Jahr auf real 2,5 Prozent ab nach 4,6 Prozent im vergangenen Jahr. 1992 wird auch im Westen eine kräftigere Wirtschaftsentwicklung erwartet als im laufenden Jahr. Ende des Jahres sei für Ostdeutschland mit 3,5 Millionen registrierten Arbeitslosen und KurzarbeiterInnen zu rechnen (siehe taz vom 29.4.).

Keine Details über Produktivität

Wie sich allerdings die Lohnsteigerungen genau auf einzelne Betriebe oder Branchen auswirken, vermag derzeit noch niemand zu sagen — zu vielfältig sind dafür die anderen Einflüsse von der schleppenden Bürokratie bis zu den Eigentumsfragen. Zudem gibt es noch keine Untersuchungen, wie sich die Produktivität innerhalb einzelner Branchen entwickelt hat.

Zwischen der Jahreswende 89/90 und dem Jahresende 91 wird die Produktion in Ostdeutschland insgesamt um rund 40 Prozent gefallen sein. Der Tiefpunkt wird voraussichtlich an der Wende vom dritten zum vierten Quartal dieses Jahres erreicht sein; weil der Aufschwung sehr zögerlich sein wird, ist für das 2. Halbjahr 91 noch mit einem Negativsaldo zu rechnen, wenn auch mit einem deutlich schwächeren als für das erste Halbjahr.

Bedeutsam für die Lohndebatte ist allerdings die Produktivität. Während sie unmittelbar um die Einführung der Währungsunion sogar noch gefallen ist, sind diese Zeiten endgültig vorbei. Der Wendepunkt soll bereits im 2. Halbjahr 90 erreicht worden sein. Um wieviel sie allerdings durch die Massenentlassungen gesteigert worden ist, kann derzeit auch noch niemand sagen.

Die wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD, Roth und Jens, erklärten, das Gutachten zeige, daß die Regierung noch nicht genug für den Aufschwung im Osten getan habe. IG-Metall-Chef Steinkühler nannte das Gutachten widersprüchlich. Es trage praktisch nichts dazu bei, die Weichen richtig zu stellen. diba

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