: Gut getrennt ist halb geschieden
■ Juristinnen, Psychologinnen und eine Soziologin beraten gemeinsam / Neue Beratungsstelle an der Uni
„Wir wollen niemals auseinandergehen“ schnulzt der Schlager. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Jede zweite bis dritte Ehe in der Bundesrepublik wird geschieden, 128.700 waren es 1988 (dem jüngsten statistisch ausgewerteten Jahr) in der alten Bundesrepublik. Nicht erfaßt sind die „eheähnlichen“ Verhältnisse und Beziehungen, die gelöst werden. Ob mit oder ohne Trauschein: ohne Kämpfe und Schmerzen geht es selten ab. RechtsanwältInnen können ein Lied von all dem Beziehungsmüll singen, der bei ihnen abgeladen wird und mit dem sie oft überfordert sind.
„Das Problem ist immer ein rechtliches und ein psychologisches“, meint Diplompsychologin Gudrun Lichtenberger. Gemeinsam mit drei weiteren Psychologinnen, zwei Juristinnen und einer Diplom-Soziologin verficht sie seit drei Jahren einen interdisziplinären Ansatz bei Trennungsproblemen. Seit dem 8. April gibt es nun auch in Bremen eine „Interdisziplinäre Trennungs-und Scheidungsberatungsstelle“ (ITS).
Die vorerst sieben Fachfrauen bieten kostenlosen Rat an über juristische und finanzielle Folgen einer Trennung und Hilfe im Seelenchaos von der „Ambivalenzphase“ bis zu den psychischen Spätfolgen.
Schon in der ersten Woche lief das Telefon heiß. Der Bedarf scheint groß zu sein, trotz schon vorhandener Ehe-und Familienberatungsstellen. „Bei uns steht nicht die Rettung der Ehe im Mittelpunkt. Wir nehmen die Leute erstmal mit ihrem Trennungswunsch ernst“, so Gudrun Lichtenberger. „Ob da noch was zu retten ist, muß sich dann im Gespräch zeigen.“ Bei der ersten Kontaktaufnahme am Telefon wird geklärt, wo der Schwerpunkt der Beratung liegen soll. Danach wird entschieden ob eine Psychologin, eine Juristin oder beide am Gespräch teilnehmen sollen.
Die juristische Beratung kann allerdings den Gang zur Anwältin nicht ersetzen, da das Beratungsgesetz konkrete Einzelfallhilfe untersagt. „Aber wir können natürlich allgemein über finanzielle Folgen einer Scheidung, über Aufteilung des Mobiliars und über Sorgerechtsregelungen für die Kinder informieren“, erläutert Waltraud Osterloh, eine der beiden mitarbeitenden Juristinnen. Sie erhofft sich von der ITS eine Vereinfachung des juristischen Verfahrens. „In der Beratung können häufig erst die Hintergründe für einen Trennungswunsch herausgearbeitet werden. Durch die Hinzuziehung von Dritten können Partner wieder miteinander sprechen. Einvernehmliche Regelungen sind so eher möglich.“ Das ist vor allem dann wichtig, wenn es um die Betreuung gemeinsamer Kinder geht.
Die ITS bietet bis zu zehn Gesprächstermine an. „Wir sehen eine Trennung als Prozeß mit verschiedenen Phasen, wo wir jeweils gezielt intervenieren“, erläutert Gudrun Lichtenberger. Kommen können Trennungswillige allein oder mit Partner; wo es sinnvoll erscheint, sollen auch die Kinder einbezogen werden. „Wir wollen und müssen allerdings deutliche Grenzen zu einer Psychotherapie ziehen“, so Lichtenberger. Bei psychischen oder psycho-somatischen Beschwerden, die deutlich über akute Krisensymptome hinausgehen, verweisen die ITS-Beraterinnen an Fachleute.
Nicht nur wer verlassen wird, auch die Trennungswilligen suchen Beistand, so die Erfahrungen der schon länger bestehenden interdisziplinären Beratungsstellen wie „Trialog“ in Münster. Nach dem befreienden Schritt aus der Beziehung und der Anfangseuphorie kommt oft der Kater. Mann oder Frau bekommt Angst vor der eigenen Courage, fühlt sich allein. „Auch die Verlasser holt die Trauer ein“, weiß Gudrun Lichtenberg aus ihrer Praxis.
Die ITS hat ihren Sitz an der Uni, was zum einen pragmatische Gründe hat, weil den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen dort kostenlos Räume zur Verfügung gestellt wurden. Zum andern soll die Arbeit der neuen Beratungsstelle gemeinsam mit der Uni wissenschaftlich begleitet und ausgewertet werden. „Wir sind aber keine Sondereinrichtung für Studentinnen und Studenten“, betont Lichtenberger.
Unter der Telefonnummer 0421/218-4286 steht die ITS montags von 18 bis 20 Uhr, mittwochs von 10 bis 12 Uhr und freitags von 16 bis 18 Uhr allen offen. asp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen