: Waigel ohne Minderwertigkeitskomplex
■ CSU-Chef propagiert „ungeschminkte Diskussion“ mit der CDU, Seiters hofft auf „Schulterschluß“ Biedenkopf fordert Talentschuppen gegen personellen Unionsnotstand/ SPD sieht Koalition am Ende
Bonn (ap/dpa/taz) — Nach einer kurzen Atempause hat die CSU am Wochenende ihre Attacken gegen die Bonner Koalitionspartner wieder aufgenommen und die CDU erneut vor „Führungslosigkeit“ gewarnt. Im Hinblick auf das bevorstehende unionsinterne Schlichtungstreffen im bayerischen Irsee beteuerte CSU- Chef Waigel, er gehe „ohne Minderwertigkeitskomplexe“ zum Termin mit dem Kanzler.
Vertreter der CDU griffen unterdessen die CSU-Forderung nach einem Generationswechsel auf. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf forderte seine personell ausgezehrte Partei zur „Förderung neuer Talente“ auf. Björn Engholm hingegen glaubt, die Koalition sei so verbraucht wie seinerzeit das sozial- liberale Bündnis in seiner Spätphase unter Schmidt.
Auf dem Bezirksparteitag der CSU in Nürnberg nahm Waigel den Unionszwist um die gesamtdeutsche Neuregelung des Abtreibungsrechts zum Anlaß für einen bemerkenswerten historischen Krisenvergleich: In der Frage des Paragraphen 218 „könnten stärkere Beschädigungen des Bündnisses von CDU und CSU entstehen, als dies bei den Ostverträgen der Fall war,“ sagte Waigel. Weiter forderte er die CDU auf, den Generationswechsel innerhalb der Partei schnell zu vollziehen. Der Abgang von Späth, Wallmann und Albrecht sei schmerzlich. Als CSU- Motto für Irsee gab Waigel den Satz aus: „Wir suchen den Streit nicht, gehen notwendigem Streit aber auch nicht aus dem Weg.“ Der FDP warf Waigel erneut vor, sie habe erste Schritte auf dem Weg zu einer anderen Regierungskoalition in Bonn unternommen.
Einen Kontrapunkt zu den Verstimmungen der letzten Tage setzte Kanzleramtsminister Rudolf Seiters. Er regte einen „engen Schulterschluß“ der Union an, damit die Regierungsarbeit in der Koalition mit der FDP reibungslos fortgesetzt werden könne.
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der wie sein Nachfolger als CDU-Generalsekretär Heiner Geissler seinerzeit wegen Modernismusverdacht beim Kanzler in Ungnade gefallen war, sprach sich am Wochenende für die Förderung „neuer Talente“ in der CDU aus. Zentrale Themen der deutschen Politik seien in den letzten Jahren in der Partei kaum noch selbständig behandelt worden. Ohne politische Zukunftsarbeit könnten aber neue Talente nicht sichtbar werden. Eher würden Taktiker gefördert. Mit Nachdruck wandte sich Biedenkopf gegen eine Ausdehnung der CSU. Demgegenüber wollte der Noch- Fraktionsvorsitzende der Union, Alfred Dregger, am Wochenende eine Ausdehnung der CSU über Bayern hinaus nicht von vornherein ausschließen. Er halte diese strategische Überlegung der CSU für „durchaus gerechtfertigt“.
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