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Neonazi-Chef Opfer von Zuhältern

Polizei geht davon aus, daß der Dresdner Neonazi von zwei Zuhältern erschossen worden ist/ Rechtsextreme fordern „Blutrache“/ Wie kam Sonntag 1987 in die BRD?  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz/ap) — Daß die beiden mutmaßlichen Mörder des in der Nacht zum Sonntag in Dresden auf offener Straße erschossenen Neonazi-Führers Rainer Sonntag aus dem Zuhältermilieu stammen, ist für den Dresdner Polizeisprecher Uwe Winkler „so gut wie sonnenklar“. Wichtigstes Indiz gegen die beiden 23- und 24jährigen Männer aus Baden-Württemberg ist ein sichergestellter schwarzer Mercedes 126 C. Laut Winkler ist es „kriminalistisch zweifelsfrei erwiesen“, daß die Mörder des Neonazis dieses Fahrzeug gefahren hätten.

Die Gesuchten, nach denen Interpol fahndet, seien zudem beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit Fotos und Fingerabdrücken registriert. Damit ist für die Polizei die These vom Tisch, Sonntag sei Opfer von internen Auseinandersetzungen unter Dresdens Rechtsradikalen geworden. Diese laufen jetzt mit Armbinden mit der Aufschrift „Blutrache für Rainer Sonntag“ durch Sachsens Hauptstadt. Sonntag wurde, wie berichtet, im Rahmen einer Straßenschlacht vor einem Kino in unmittelbar neben einem Bordell aus nächster Nähe erschossen. Nach Zeugenaussagen wollten die Neonazis das Bordell überfallen. Sonntag war 1987 aus der DDR in die BRD gekommen und lebte im Aussiedlerheim im hessischen Langen. Dort schloß er sich der Kühnen-Organisation „Nationale Sammlung“ an und kandidierte 1987 für die „NS“ bei den Kommunalwahlen. Wie Sonntag überhaupt in die BRD gelangen konnte, ist nach wie vor ungeklärt. In Langen hatte er geprahlt, er sei „freigekauft“ worden. Dies wollte im Bundesinnenministererium niemand bestätigen. Sonntag könnte auch von der DDR abgeschoben worden sein, unklar ist jedenfalls, wegen welcher Straftaten er in der ehemaligen DDR verurteilt worden war.

Kurz nach der Wende kehrte Sonntag wieder nach Dresden zurück und begann die dortige Skinhead-Szene zu organisieren. Er war maßgeblich an der Gründung des „Nationalen Widerstands Deutschlands“, der „Schutzstaffel Ost“ sowie anderer Gruppierungen beteiligt. Anfang November 1990 war er zusammen mit dem Dresdner Neonazi Dirk Vogel an einer Hausbesetzung in der Dresdner Rabenauer Straße beteiligt. Dort sollte ein Zentrum für die Dresdner Neonazis entstehen. Mehrere Festnahmen, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit der „SS Ost“ und Personalienüberprüfungen nach rechtsradikalen Übergriffen überstand Sonntag schadlos. Auch als am 20. März das Europapokalspiel zwischen Dynamo Dresden und Roter Stern Belgrad nach Krawallen abgebrochen werden mußte, fand die Polizei unter den Hooligans die gesamte polizeibekannte Führungsriege von Sonntags „NWD“ vor Ort. Eine Woche zuvor führte Sonntag mit polizeilicher Genehmigung einen von seiner „NWD“ organisierten Marsch von etwa 100 Skinheads „gegen Prostitution, Drogen und Kriminalität“ durch Dresden an. Spruchbänder wie „Dresden wird kein Bordell“ gaben die zukünftige Stoßrichtung Sonntags an. Er wollte für ein „sauberes Deutschland“ kämpfen.

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