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Auf geheimen Routen durch Berlin

Hauptstadt-Report — dritter und letzter Teil: Die KSZE-Konferenz als Regierungssitz-Testlauf/ Größter Sicherheitsrummel in Berlin seit der Tagung des Internationalen Währungsfonds  ■ Von Claus Christian Malzahn

Wie auch immer die Bundestagsabgeordneten morgen entscheiden werden: Einen Vorgeschmack auf echte Hauptstadtverhältnisse bekommen die Berlinerinnen und Berliner heute schon. Zwischen dem Reichstag und der rund einen Kilometer entfernten Kongreßhalle geht am 19. und 20. Juni gar nichts mehr.

Der Platz der Republik, wo sich sonst Amateur-Fußballer amüsieren, ist durch Sperrgitter abgeriegelt, das Zelt-Theater „Tempodrom“ neben der Kongreßhalle muß für zwei Tage schließen. Der Grund für den größten Sicherheitsrummel seit der Tagung des Internationalen- Währungsfonds: Im Reichstagsgebäude treffen sich die Außenminister der 34 KSZE-Teilnehmerstaaten.

Berlin gleicht in diesen Tagen einer Festung. Über 3.000 Polizisten bewachen gesperrte Straßen, 500 Beamte des Bundesgrenzschutzes sichern die Flughäfen Tegel und Schönefeld. Über 600 Angehörige der freiwilligen Polizeireserve patroulieren in den Hotels, in denen die Politiker wohnen. Die Außenminister, die seit Montag nach und nach in Berlin eintreffen, werden über geheimgehaltene Routen mit Luxuslimousinen in ihre Domizile gebracht.

Den Weg durch die verstopften Straßen machen „weiße Mäuse“ frei: Das sind motorradfahrende Polizeibeamte, die, zum Teil freihändig, den Staatskarossen vorausfahren, um ihnen eine Fahrgasse durch den Stau zu bahnen. Sie tun das in der Regel, indem sie den ahnungslosen PKW-FahrerInnen aufs Autodach klopfen — bei Tempo 80, wie sich versteht. Da Berlin über zu wenige solcher Mottoradkünstler verfügte, lieh sich der Polizeipräsident 80 „weiße Mäuse“ aus den Altbundesländern aus.

Neben ihrer weltpolitischen Bedeutung sei die Konferenz auch für die Hauptstadt-Diskussion wichtig, erklärte Polizeipräsident Schertz auf einer Pressekonferenz. Tatsächlich fürchtet die Berlin-Lobby zur Zeit nichts mehr, als daß der angekündigte „reibungslose Ablauf“ der Konferenz durch Demonstranten oder — noch schlimmer — „politische Gewalttäter“ gestört werden könnte. Eine Anti-Regierungssitz- Demonstration von Kreuzberg nach Berlin-Mitte, an der am Montag abend etwa 1.000 Menschen teilnahmen, wurde von 300 Polizisten begleitet. Zu Zwischenfällen kam es nicht, die Polizei hatte schon vor Beginn der Demo Taschenkontrollen durchgeführt.

Die Angst vor den „Chaoten“ schlachtete die Bonn-Lobby im Hauptstadt-Streit weidlich aus. Bayerns Ministerpräsident und Bonn- Befürworter Max Streibl warnte schon vor einem Jahr vor einer „Hauptstadt Kreuzberg“. Und der Bonner Oberbürgermeister Daniels erklärte im September 1990 in Berlin, daß die Stadt an der Spree „untypisch“ für Deutschland sei. Das sehe man schon an den Wahlergebnissen: Im Westen rot-grün, im Osten 30 Prozent PDS. Seit die Bonn-Lobbyisten diesen „wunden Punkt“ entdeckten, kann man sicher sein: Brennt in Friedrichshain ein Müllcontainer, geht in Kreuzberg eine Fensterfront zu Bruch — dann steht es auf Seite eins des Bonner Generalanzeigers.

Bonn-Lobby schürt die Angst vor „Chaoten“

Tatsächlich gehören politisch motivierte Anschläge mittlerweile fast zum Alltag in Berlin. Im Januar versuchten die „Revolutionären Zellen“ die Siegessäule — vielen bekannt aus der Anfangsszene im „Himmel über Berlin“ — vom Sockel zu sprengen. Doch die „Goldelse“ blieb standhaft. Im April wurden Büroräume der Treuhand durch einen Brandsatz verwüstet, im Mai explodierte eine Brandbombe unter dem Auto eines Mitarbeiters des Stasi-Auflösers Joachim Gauck. Am 11. Juni detonierte ein selbstgebauter Sprengsatz im Reichstag, zu dem Anschlag bekannten sich abermals die „Revolutionären Zellen“. Andere Gruppen nennen sich „Boomtown Rats“ oder „Thomas Münzers wilder Haufen“. In jüngster Zeit richteten sich die Anschläge vermehrt gegen die Verlegung des Regierungssitzes nach Berlin. „Berlin würde eine Bonzenmetropole“, heißt es in dem Bekennerschreiben der „RZ“, und: „Wir lassen uns nicht vertreiben — nie wieder Regierungssitz Berlin.“

Ob auch die Ermordung des Senatsmitarbeiters Hanno Klein in diese Serie gehört, ist noch nicht ausgemacht. Zwar tauchte jetzt ein auf linksradikal getrimmtes Bekennerschreiben auf, der polizeiliche Staatsschutz hält es aber für nicht authentisch.

„Wo ist denn hier die Bannmeile?“

Vor allem die Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern fragen bei Besuchen in Berlin genau nach, „wo denn hier die Bannmeile ist.“ Denn viele von ihnen saßen vor einem Jahr noch in der Volkskammer der DDR — und da wurde die Bannmeile lange Zeit gar nicht eingehalten. Die ParlamentarierInnen mußten auf ihrem Weg in die Lobby oft über Abfallberge wandern, die aufgebrachte Müllkutscher abgeladen hatten. Tausende von StudentInnen blockierten vor den Plenarsitzungen die Eingänge, erinnerten die Abgeordneten mit gellenden Pfeifkonzerten an ihre Probleme. Selbst an stinkenden Kuhfladen vorbei mußten sich die Abgeordneten ihren Weg in die Volkskammer bahnen: Die hatten zornige Bauern vor das Hohe Haus gekippt, weil sie abgewickelt werden sollten.

In Bonn am Rhein kennt man solche Probleme kaum. Vom Wasserwerk aus hat man einen schönen Blick auf den Rhein, die Idylle wird durch Demos nur selten getrübt. Bei einem Treffen mit Bundestagsabgeordneten aus den neuen Ländern fand Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen tröstende Worte: „In einer Großstadt gehen die Leute eben nicht nur am Wochenende demonstrieren!“

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