Barenboim kriegt Ärger

■ Die Sänger der Staatsoper wenden sich gegen Star-Betrieb/ »Am Ensemblegedanken festhalten«

»Die Staatsoper ist ja kein Imbißstand«, ruft Kammersänger Siegfried Lorenz aus, und: „Wir wollen nur eine faire Chance.« Anfang Mai hatte das Solistenensemble der Staatsoper einen detaillierten Brief mit Klagen und Vorschlägen zur Zukunft des Ostberliner Hauses an Kultursenator Roloff-Momin geschickt und sechs Wochen lang nicht einmal eine Empfangsbestätigung zurückbekommen. Daß sich die Sänger »als Ostler und Menschen zweiter Klasse« behandelt fühlen, nimmt da kaum Wunder.

Da vom Senat keine Antwort kam, wandte sich das Ensemble gestern an die Öffentlichkeit — drei Tage vor der übermorgen erwarteten Bekanntgabe des Vertrags mit Daniel Barenboim durch Roloff- Momin. Das Ensemble, so Lorenz und seine Kollegin Ute Trenkel- Burckhardt, sei über den Gang der Verhandlungen sowenig instruiert wie die Öffentlichkeit. Für Verwunderung sorgte auch, daß der Barenboim-Vertrag am Montag zuerst der Öffentlichkeit und nicht den unmittelbar betroffenen Mitarbeitern vorgestellt werden soll — ein zumindest im Westen absolut unübliches Procedere.

Lorenz und Trenkel-Burckhardt hielten angesichts der von Barenboim erwarteten Stagione- oder Semi-Stagione-Idee am »Ensemblegedanken« fest. Bei Barenboim, so die Gerüchte, sei mit nur 60 Opern- Vorstellungen im Jahr zu rechnen (gegenüber 250 Vorstellungen im Moment), die terminlich gedrängt und in den Hauptrollen mit internationalen Stars besetzt wären. Der Rest der Abende solle mit Ballett und Konzerten gefüllt werden.

Dem stehe die Praxis der Staatsoper seit hundert Jahren entgegen. Das Haus sei immer durchs Ensemble geprägt gewesen. In der DDR war gar keine andere Politik möglich: Die Stars waren zu teuer, die Staatsoper mußte sich aus eigenen Kräften regenerieren oder zog die besten Sänger aus der Republik ab.

Barenboims Engagement sei zu begrüßen, wenn »er sich auf dieses Ensemble besinnt«. Er wird es nicht vermeiden können: Das Ensemble besteht derzeit aus 54 Sängern und Sängerinnen. über die Hälfte davon sind 50 oder älter und über 15 Jahre am Hause, wodurch sie unkündbar werden. Selbst Lorenz hält diese Zahl für nicht haltbar und signalisierte die Bereitschaft, sie durch Pensionierungen und unter sozialer Abfederung auf 35 bis 40 zu reduzieren — dies obwohl das Ensemble an der Deutschen Oper mit 50 Solisten kaum kleiner ist als unter den Linden. Im übrigen, so Lorenz, wünsche sich die Staatsoper eine »gesunde« Konkurrenz mit der Bismarckstraße. Er verwahrte sich dagegen, daß für die Staatsoper ein höherer Etat im Gespräch ist als für die Deutsche Oper: 110 Millionen Mark (inkl. Einnahmen) statt 91.

Konkurrenzfähig sei die Staatsoper schon durch das enorme Repertoire von derzeit 35 spielbereiten Inszenierungen. Davon seien allerdings nicht alle auf Weltstadt- Niveau zu erhalten. Für die Reorganisation des Spielplans und des Hauses sei die kontinuierliche Präsenz von Intendanz und künstlerischer Leitung erforderlich. Bei Barenboim, der wahrscheinlich einen Viermonatsvertrag bekommt, sei zu befürchten, »daß seine Zeit knapp bemessen ist und er sich kein rechtes Bild wird machen können«. Einen Interims-Intendanten, der dem künstlerischen Leiter Barenboim an die Seite gestellt würde, könnte das Ensemble nicht gutheißen.

Im Herbst 92 steht die 250-Jahr- Feier der Staatsoper an, bisher gibt es dafür noch nicht einmal ein Konzept. Barenboim hat dem Ensemble gegenüber bereits zugegeben, erst ab 95 künstlerisch wirklich planen zu können. Bei der »außerordentlich ernsten Lage« brauche es an der Seite Barenboims einen Intendanten, der langfistig zur Verfügung steht.

Wie der Vertrag mit Barenboim genau lautet, wird Roloff-Momin am Montag bekanntgeben. Möglicherweise übertriebenen Gerüchten zufolge ist für Barenboim ein Gesamtsalär von einer bis 1,5 Millionen Mark jährlich vorgesehen, bei vier Monaten Anwesenheit und auf zehn Jahre. Außerdem ist von 24 bis 36 zusätzlichen Konzerten im Jahr die Rede. thc