: Das ABC auf türkisch und auf deutsch
■ Ein zweisprachliches Modellprojekt in der Tiergartener Anne-Frank-Schule droht am Bezirksamt für Volksbildung zu scheitern/ Türkische Kinder erhalten auch Unterricht in türkischer Sprache
Moabit. »Mein Sohn soll mit türkischen Kindern zusammen zur Schule gehen«, sagt Regina Krokowski, eine von rund 20 Eltern, die gestern mittag ein Go-in beim Tiergartener Volksbildungsstadtrat machten. Fünf Tage vor Beginn der Sommerferien wollten die Mütter und Väter endlich wissen, ob in der Tiergartener Anne-Frank-Schule der Modellversuch »Zweisprachige Alphabetisierung« fortgesetzt wird. Der Tiergartener Schulrat Szulszewski hatte die Anne-Frank-Schule im April wissen lassen, daß »neu einzurichtende Klassen im Schulversuch vom Senat nicht mehr mit Stunden und Lehrern ausgestattet werden«.
Seit zwei Jahren gibt es in zwölf Berliner Schulen Modellversuche, in denen ein türkischer und ein deutscher Lehrer in der jeweiligen Muttersprache unterrichten. Zwar lernen die deutschen Kinder nicht die türkische Sprache, die türkischen Kinder erhalten jedoch eine zweisprachige Grundschulausbildung. Das psychologische Klima in den Klassen habe sich verbessert, die türkischen Kinder lernten viel besser, berichten die Eltern.
Von der Senatsverwaltung für Schule gibt es trotz allgemeiner Sparmaßnahmen die gestern auch von Szulszewski bestätigte feste Zusage an die Anne-Frank-Grundschule, daß sie ihr Modellprojekt mit einer neuen ersten Klasse fortführen darf. Die Schule hat auch einen türkischen Lehrer gefunden, der gern nach Tiergarten wechseln würde. Bislang unterrichtet er in Reinickendorf. Der Senat übernimmt bisher die Kosten für die halbe Stelle muttersprachlichen Unterricht, die Finanzierung der anderen halben Stelle müßte der Bezirk übernehmen. Sein zweites Fach, Mathematik, könnte die Schule, so eine Lehrerin, zwar gut gebrauchen. Der Schulrat jedoch ziert sich: »Wir wollen uns langfristig keinen Kollegen in den Bezirk holen, der außer für den zweisprachlichen Unterricht nur mit Mathematik einsetzbar ist.«
Volksbildungsstadtrat Schmidt erklärte auf Anfrage: »Wir sind stellenmäßig komplett.« Er setzt darauf, daß der betreffende Lehrer doch noch »die Notwendigkeit« einsieht, zwischen Reinickendorf — denn dort sollte er nach den Vorstellungen der Tiergartener eine halbe Stelle beibehalten — und Moabit zu pendeln. Falls er das nicht tut — einfach weil er ein ständiges Hin- und Herfahren für unzumutbar halten könnte —, droht das Ende der zweisprachlichen Alphabetisierung in Tiergarten. Die Eltern warfen deshalb gestern dem Schulrat vor, nicht genügend Lösungsmöglichkeiten geprüft zu haben. Stadtrat Schmidt dazu: »Wir tun alles in unserer Kraft Stehende.« Er wird am Montag über die Fortsetzung des Modellversuchs entscheiden.
Daß Verständigung unbedingt auch der zunehmenden Gewaltbereitschaft an den Schulen vorbeugt, diskutierten vorgestern abend Tiergartener Elternvertreter verschiedener Nationalitäten in der Anne- Frank-Grundschule. Ihre Erkenntnis: »Irgendwann erweisen sich die zweisprachigen vermeintlichen ‘Luxus‚-Projekte als kostensparend.« Sigrid Bellack
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen