piwik no script img

Jäger des Jakobstabs

■ Alltag im 17. Jahrhundert / Wolfgang Griep und seine Begleitausstellung zu „Peter dem Großen“

Es gibt möglicherweise nur noch drei davon auf der Welt, einen im Staate New York, einen in Greenwich, und einer ist jetzt in Bremen zu besichtigen: Der Jakobsstab, wichtiges Navigationsinstrument der letzten Jahrhunderte, ist eins der Topausstellungsstücke in der Begleitausstellung zur goldigen Zar-Peter-Ausstellung im Überseemuseum. Mit dem Jakobsstab wurde mittags auf hoher See der Abstand zwischen Horizont und Sonne gemessen; aus einer Tabelle konnte man dann die geografische Breite ermitteln. In der Begleitausstellung, die das Alltagsleben des 17. Jahrhunderts illustriert und die mit Original-Gebrauchsgegenständen angereichert ist, muß man genau hinsehen: Der Jakobsstab ist 1736 von seinem Besitzer in einem Schmuckkästchen versteckt und festgenagelt worden. Nur deshalb ist er wahrscheinlich aufgehoben und nicht wie fast alle anderen über Bord geworfen worden.

Die Geschichten, wie die überaus seltenen Alltagsobjekte des 17. Jahrhunderts — gebrauchte Flinten, medizinische Schröpfköpfe, Aderlaßbinden, historisches Schiffszimmermannswerkzeug, ein handcoloriertes Buch der Signalkunde — nach Bremen kamen, sind ebenso zahlreich wie spannend. Erzählen kann sie der wissenschaftliche Berater und eigentliche Macher der Begleitausstellung, Wolfgang Griep. Wie er den Jakobsstab nach endlosem Suchen und einem privaten Tip auf Sylt auftrieb; wie er die historischen Flinten in der ehemaligen „Reichswaffenkammer des III. Reichs“ fand, die jetzt im Lübecker Museum im Magazin versteckt ist: Das ist wissenschaftliche Recherche von der abenteuerlichen Art. Ein sehr knappes Jahr hatte Griep Zeit, die Ausstellung incl. Katalog zu realisieren, die Schwierigkeiten waren „unsäglich“. Griep hatte „immense Recherchearbeit“ zu leisten und befand sich zumeist - „naturgemäß“ — auf dem Irrweg. „Ich habe viel Glück gehabt“, erklärt er seine Rechercherfolge.

Von Haus aus ist Wolfgang Griep eher Gelehrter als Jäger und Sammler. Der Historiker und Literaturwissenschaftler hat lange Jahre an der Uni ein vielbeachtetes Projekt „Reiseliteratur“ aufgebaut. Als der Bildungssenator '88 — eine Blamage für Bremen — das Projekt per Geldhahn kippte, fiel Griep aus dem Elfenbeinturm: auf die Füße. Er machte sich selbständig mit einem „Beratungsbüro“ und konzipiert nun Ausstellungen (z.B. zur Kutschenreise), macht Bücher (Temmen-„Sammlung denkwürdiger Reisen“), bietet Literaturrecherchen an und schreibt als Ghostwriter Reden für schleswig- holsteinische und Hamburger Politiker.

Für die „Große Gesandtschaft“, Zar Peters Reise nach Westeuropa (1697-1698), empfahl sich Griep aufgrund seiner Reiseliteraturforschung und seines Schwerpunktes 17. Jahrhundert — Griep: „Ich bin immer im 17./18. Jahrhundert gewesen.“ Um die BesucherInnen der Begleitausstellung nicht über Gebühr zu belasten, verzichtete er auf weitschweifige Texttafeln und ging lieber das Risiko ein, daß man von der Ausstellung ohne Katalog kaum profitiert. So findet man erst im Katalog deutliche Hinweise auf das „Doppelgesicht“ des Reformers Peter der Große, auf Krieg und Hinrichtungen. Es handelt sich ausdrücklich nicht um einen reinen Exponatbeschreibungs-Katalog, sondern eher um ein Lesebuch, das sich in lockerer Form um die Exponate rankt; es enthält Beiträge zum Zeitungswesen, über die Reiseapotheke, die Möglichkeiten der Navigation, Seeschlachten und höfische Feste.

Weil sich der Katalog leider schlecht verkauft, ist Griep die Idee gekommen, seinem Publikum wenigstens eine Gratisinformation an die Hand zu geben: Ab kommender Woche bietet ein „Zeitungsbote“ die Bremer wöchentliche Ordinari Nachrichten (in DIN A5) an, eine Zeitung im Stil der Zeit mit Erläuterungen zu den Exponaten. Vielleicht hilft sie, daß der eine oder die andere mal ganz genau hinsieht und etwa die kyrillischen Namensschildchen fürs Unterdeck und andere Schiffsteile am englischen Modellkriegsschiff entdeckt. Burkhard Straßmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen