: Vom Dada zum Wowo: Die Sprache in der Mangel
■ Das Theater Vanilla Gorgon mit Kändler-Texten im Club Gérard Phillipe
Wenn das Theater nicht nur schneller sein will als der nächste Reim aus den Werbeagenturen(Fotos: Thomas Schmidt)
Sprache ist heutzutage nicht mehr als ein für allerlei Verpackungskünste benutzter bunter Ballon. Auf die Funktion eines zu erzeugenden Wohl- oder Mißklanges reduziert, treffen wir sie im Übermaß an. Wo der Gehalt des einzelnen Wortes unbemessen bleibt, muß die Masse wirken. Was bleibt, ist Hörlosigkeit, gewachsen aus der traurigen Erfahrung der zum Stil erhobenen Inhaltsabwesenheit.
Jede Zeitung böte sich an, oben Behauptetes zu überprüfen, ähneln sie doch alle mehr und mehr dem traurigsten Vorbild aus dem audiovisuellen Bereich: der Talkshow. Diese trägt schon im Namen ihr Stigma. Der allseits beklagte Verlust an Stille ist in Wahrheit ein Verschwinden der Sprache.
Der Durchschnittsleser beendet die Lektüre eines Artikels nach etwa 20 Zeilen. Das wäre etwa hier.
Für die Verbliebenen das Folgende: Friedhelm Kändler lebt davon, daß er schreibt. Er ist verantwortlich für die Textcollage, mit der Vanilla Gorgon sich »Jenseits von Edeka« sieht. Daß ihm das Schreiben nicht ganz einfach fällt, macht ihn sympathisch.
Jede bessere Zigarettenreklame okkupiert heute Worte, zusammengezählt ergibt sich aus ihnen das komplette Vokabular eines neunjährigen Kindes. Der amerikanische Fernsehkanal CBS konnte im letzten Jahrzehnt seine Zuschauerarmee um ein Drittel vergrößern — der Mediengigant hatte bemerkt, daß der Durchschnittsamerikaner mit dem bis dahin zum Verständnis des Programmes erforderlichen Wortschatz von Zwölfjährigen überfordert war. Nun orientiert man sich an den oben erwähnten Milchzähnen.
Sprache erodiert, sie verliert in diesem Krieg ihre Schneidezähne. Kändler wollte nicht nur einfach schneller sein als der nächste Reim aus den Werbeagenturen, als der letzte Soziologenschnack über innere Befindlichkeiten einer äußerlichen Gesellschaft. So begründete er den Wowoismus, Überlebensversuch in einer Zeit verdorrter Zeichen, in der Wortschöpfung nicht unabsichtlich dem Dada verwandt.
Dem Theaterhof Priessental ging es auch ums Überleben. In ihren Stücken und ihrer kollektiven Lebensform lebte die Opposition zur betäubten Lebenswirklichkeit, zum Töten durch Worte, zum Tod durch Leere. Das Kollektiv gibt es nicht mehr, ihre Protagonisten aber sind fruchtbar geblieben. Jan- Geerd Buss führt nun Regie bei Vanilla Gorgon, dieser eher ungestümen Kreuzberger Off-Theatergruppe.
Vanilla Gorgon hat Friedhelm Kändler und Geerd Buss zusammengeführt, die Gruppe hatte schon zweimal einen Abend aus Wowoismus-Fragmenten erstellt. Was sie nun aber angerichtet haben, ist noch schwer zu übersehen, mit Sicherheit aber war die Premiere von »Jenseits von Edeka« der spannendste Theaterabend im neuen Berlin. Im riesigen Bühnenraum des Club Gérard Phillipe, dessen Rückwand einst den Todesstreifen berührte, gab es eine irritierende Vorführung: Gleich der Übersprungsreaktion eines zwischen mehreren Kadavern pendelnden Raubtieres zitterte die Aufführung zwischen der starren Wortgewalt Kändlerscher Vision und der zarten Gegenläufigkeit Buss', dem nicht immer einsichtig ist, daß was ist, so bleiben muß.
Das macht Buss schwach und verletzlich, und das ist es, was Kändler (als Epigonen des Wortes) fehlt. Wer schauen will, der kann hier sehen, was Regiearbeit im Einzelnen bedeutet: Die immer generell erscheinende Textsicht auf den Einzelnen, auf die Rolle zu übersetzen. Aus dem genialen Entwurf, der Wunschvorstellung jedes Autors, das Spielbare, Organische zu entwickeln.
Jan-Geerd Buss hat das geschafft. Es ist ihm gelungen, die eher erdigen Spieler Vanilla Gorgons zu verzaubern, und wenn Angela Wagner (auch sie ein Priessental-Rudiment) als gefallener Engel den Bühnenzug zum Fliegen braucht, so wundert man sich fast. Nils Willer, lang und schlacksig, wird immer kleiner, zarter, selbst zum »Plüsch- Schuh« jener Ameise, der Kändler antat, für falsche Eitelkeit zu sterben. Auch hier wieder das Oszillieren: Er traut sich selber nicht ganz zu, den Riesenmonolog zu spielen — das macht, daß er ihn lebt.
Die sechs Akteure sprechen und singen über das Leben, vom Tode aus betrachtet, eine gute Beobachterposition, sie klart den Blick auf. Sie bewegen sich fast immer in der Groteske, mal erzwingt es der Text wie im »Schwarzen Skandal«, wo Alfons Kujat seine Liebe — ja, er bekennt und schämt sich — in Versen vor dem Tribunal der verkehrten Welt eingesteht; mal will es die Regie, wie in »Essen und Sein«, wo Kändlers Persiflage der Schüler-Meister — Beziehung zur Befragung der Sphinx wird, der Meister eine Doppelfrau, hoch oben auf dem Thron der Erkenntnis.
Frank Augustin ist der Mann am Klavier, und er ist auch der inszenierte Regisseur. Er gibt den Einsatz, und wenn der »Tod verstecken spielt«, dann markiert er auch die Auszeit. Die Präsenz der Akteure ist so überwältigend, das Umschlingende der Texte so mitnehmend, daß, dem Theater heute unbekannt, von Tränen bis Anfeuerungsrufen das Publikum in Bewegung geriet.
Das ist ein Abend wie im Labor. Hier ist etwas im Aufbau, Umbruch. Buss macht deutlich, wahrscheinlich unbeabsichtigt, daß Kändlers Texte noch nicht ihre volle Form gefunden haben. Denn auch sie flackern, sind unentschieden ob bloßer Wiederholung der Zerstörtheit der Alltagssprache, der leeren Verse, knalligen Wortspiele; um dann mit einem Male einen eigenen Korpus zu entwickeln, eine Poesie, der es gelingt, die Untiefen und Sirenenhügel einer phantasielosen Welt zu übergehen. »Der Bluter« ist so ein Stück, und auch »Der schwarze Skandal«. Buss entdeckt dies zielsicher, Kändler wird sich gewundert haben. Man will weiter zusammenarbeiten — dies wird beiden guttun, für das Berliner Publikum kann es der Beginn eines neuen Theaters sein. Vielleicht erweist sich einmal das Schau-Spiel als kräftig genug, dem Versanden der Sprache entgegenzutreten, dem Verschwinden des Autors einen Dialog mit demselben entgegenzusetzen. Das wäre doch mal was. Joachim Schurig
Fr, Sa, So, 20.30 im Club Gérard Phillipe, nach der Sommerpause im September im Ratibor
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