: Noahs Nachfahren
San Francisco (dpa/taz) — Eine Bonsai-Version des Planeten Erde— ein drei Hektar großes Bio- System unter Glas in der Wüste von Arizona — schließt übermorgen seine Pforten: Zwei Jahre lang sollen acht Wissenschaftler, von der Außenwelt isoliert, in einem künstlichen Öko-System mit 3.200 Tier-und Pflanzenarten überleben.
Das Experiment, das die Organisatoren „Biosphäre 2“ nennen, wird entweder beweisen, daß sich auch der Mensch in ein geschlossenes System einfügen und dort leben kann, oder sich als spektakulärer wissenschaftlicher Reinfall entpuppen. Die Kuppeln einer riesigen Glaspyramide nahe der kleinen Stadt Oracle rund 70 Kilometer nördlich von Tucson überdachen neben Wohnräumen und Labors die Nachbildung der fünf Klimazonen von „Biosphäre 1“ — der Erde. Ein Kleinst-Regenwald wächst dort, außerdem gibt es eine Steppe sowie eine Salzwassermarsch am Rande eines künstlichen, sechs Meter tiefen Ozeans, dessen Gezeiten mechanisch erzeugt werden. Die acht „Bionauten“ werden sich von Reis, Gemüse und Kartoffeln ernähren — alles selbst angebaut. Insekten, Reptilien sowie Schweine, Schafe und Hühner werden diese ökologische Arche Noah ebenfalls bevölkern und manchmal auch eine nichtvegetarische Mahlzeit ermöglichen. Während der Gesamtdauer des Projektes wird keine Nahrung, kein Wasser und kein Hauch frischer Atemluft in das riesige Terrarium hineingelassen werden. Lediglich die Sonne scheint durch Dach und Wände hindurch und betreibt auch ein kleines Kraftwerk in der Nähe der geschlossenen Anlage. Weder Müll noch Abwässer gelangen hinaus, alles soll innerhalb der Anlage wiederverwendet werden. Durch Videoleitungen und Fernsprechverbindungen halten die Forscher Kontakt mit der Welt draußen und werden mit Nachrichten und Spielfilmen versorgt.
Finanziert wird das Projekt von Edward Bass, einem Ölmilliardär aus Texas. Er hat bislang rund 150 Millionen Dollar in das Unternehmen gesteckt, um, wie er sagt, eine Kopie der realen Welt herzustellen, damit die Menscheit lernen kann, richtig mit ihr umzugehen. Bass sieht in diesem Projekt eine Langzeitinvestition, die irgendwann durchaus Gewinne abwerfen könnte — etwa mit dem patentierten Luftreinigungssystem und anderen Patenten für geschlossene Kreisläufe, die für „Biosphäre 2“ entwickelt wurden. John Allen, der intellektuelle Kopf des Unternehmens, sieht noch viel weitreichendere Entwicklungsmöglichkeiten: Wenn das Öko-System unter Glas funktioniert, könnte „Biosphäre 2‘ den Prototypen für eine Besiedelung des Weltraums darstellen und etwa auf dem Mars gebaut werden.
Können sich acht Menschen von einem halben Hektar Anbaufläche ernähren? Kann die Atmosphäre innerhalb der Pyramide saubergehalten werden? Kann ein geschlossener Wasserzyklus, in dem jeder Tropfen aufbereitet und wiederverwendet wird, ausreichend Trinkwasser zur Verfügung stellen? Solche Fragen werden die menschlichen Versuchskaninchen beantworten müssen.
Manche Wissenschaftler bezweifeln einen Erfolg. „Es ist mehr Show denn Wissenschaft“, meint nicht nur Dennis Murphy, Biologe an der Stanford-Universität bei San Francisco. Nach vier Jahren hat Walter Adey, einer der führenden „Biosphäre“-Wissenschaftler, vor kurzem seine Mitarbeit aufgekündigt. Seiner Meinung nach gibt es zu viele Probleme mit den Wasserpumpen, die nicht immer innerhalb des Öko- Paradieses repariert werden können. Nach Meinung anderer Kritiker setzen Noahs Nachfahren zuviel Vertrauen in die Artenvielfalt und Selbstregulierungskraft der Natur — strengen Öko-Freaks hingegen ist der „kalte“ High-Tech des Bio-Paradieses ein Graus. Spätestens in zwei Jahren wird entschieden sein, welche Kritiker nun recht hatten — die Bionauten sind unterdessen guter Dinge. Schon jetzt ist „Biosphäre 2“ ein Publikumsmagnet und lockt bis zu 2.000 Besucher pro Woche an — die Zukunft als eine Art Öko-Disneyland scheint in jedem Falle gesichert. mbr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen