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Letzte Dienstreise des Topspions

■ Nach einjähriger Odyssee begibt sich der einstige DDR-Spionagechef freiwillig in die Hand deutscher Behörden. Ob er vor Gericht gestellt werden kann, muß das Bundesverfassungsgericht erst...

Letzte Dienstreise des Topspions Nach einjähriger Odyssee begibt sich der einstige DDR-Spionagechef freiwillig in die Hand deutscher Behörden. Ob er vor Gericht gestellt werden kann, muß das Bundesverfassungsgericht erst grundsätzlich klären.

Am Ende siegte der Wunsch, im Heimatland zu leben: Markus Wolf, der legendäre Chef der Auslandsspionage in der früheren DDR, verzichtete auf seine Drohung, alle juristischen Schritte ausschöpfen zu wollen, um in Österreich Asyl als politisch Verfolgter der Bundesrepublik zu erhalten. Führende Juristen der Alpenrepublik, bis hin zum Wiener Innenminister, hatten dem früheren Geheimdienstchef zwar nur geringe Chancen auf eine positive Entscheidung eingeräumt. Sein Anwalt hatte dennoch angekündigt, jeden juristisch nur denkbaren Winkelzug anwenden zu wollen.

Das Ende der Dienstreise des derzeit wohl berühmtesten aller Geheimdienstmenschen gestaltete sich so vergleichsweise unspektakulär. Der frühere Generaloberst und Stellvertreter des Stasi-Ministers Erich Mielke überquerte gestern von Österreich kommend um 8 Uhr 32 den bayerischen Grenzübergang Bayerisch-Gmain — wohl wissend, daß ihn dort ein Haftbefehl und Vertreter der Bundesanwaltschaft erwarteten. Wolf wurde festgenommen und umgehend nach Karlsruhe zur Vernehmung bei den obersten Anklägern gebracht. Gestern, am späten Nachmittag, wollte auch der Bundesgerichtshof über den Erlaß eines Haftbefehls entscheiden.

Gesucht wird der Herr über die ostdeutschen Spione mit Haftbefehl des Bundesgerichtshofes vom 20.Juni 1989. Wolf, der bis 1987 ein Heer von 1.200 Stasi-Mitarbeitern und zwischen drei- und fünftausend Agenten in der Bundesrepublik befehligte, wird Landesverrat in besonders schwerem Fall vorgeworfen. Ursprünglich sollte er, wie sein Nachfolger Werner Großmann, am Tag der deutschen Einheit festgenommen werden. Während Großmann am 3. Oktober 1990 den Fahndern des Bundeskriminalamtes ins Netz ging, entzog sich Wolf der Festnahme durch seine Flucht nach Moskau. Schuldig im Sinne der Karlsruher Anklage fühlte sich die graue Eminenz der Spionage dabei nicht. Von seinem Moskauer Exil aus wies er mehrfach die Forderung, ihn als Landesverräter vor Gericht zu stellen, als politische Heuchelei zurück. Es gebe „keine Paraphe unter irgend etwas, dessen ich mich zu schämen brauche“. Die Flucht in den Osten begründete er damit, daß er „nicht die Absicht habe, den Rummel um meine Verhaftung mitzumachen“.

Erleichtert reagierten auch die Behörden in der Alpenrepublik. Sie hatten gegen Markus Wolf zwar ein Aufenthaltsverbot verhängt, mußten es aber wegen seines Asylantrages aussetzen. Hätte der einstige Meisterspion der DDR auf die volle Ausschöpfung des Rechtsweges bestanden, hätte dies für die Alpenrepublik juristisch wie politisch komplizierte Folgen gehabt. Weil Spionagedelikte in Österreich als politische Straftatbestände gewertet werden, kam eine Auslieferung Wolfs in die Bundesrepublik nicht in Betracht. Auch die ständigen Beteuerungen der Bonner Ministerialbürokratie, alle anderen Möglichkeiten zu prüfen, um eine Überstellung Wolfs doch noch zu erreichen, führten zu keinem Ergebnis. Am Ende des Asylverfahrens hätte aller Wahrscheinlichkeit nach ein negativer Asylbescheid gestanden — die Wiener Behörden hatten mehrfach erklärt, kein Aufnahmeland für frühere Stasi-Mitarbeiter werden zu wollen — Wolf hätte dann in das Land abgeschoben werden müssen, aus dem er nach Österreich eingereist war: in die Sowjetunion. Kompliziert wäre es geworden, wenn die Sowjets die Einreise des abgelehnten Asylbewerbers verweigert hätten. Den einstigen Topspion in einen Anrainerstaat abzuschieben, hätte eine Verstimmung zwischen Bonn und Wien zur Folge gehabt. De facto hätte Österreich den Aufenthalt Wolfs in Kauf nehmen müssen.

Der Mann ohne Gesicht

Als „Mann ohne Gesicht“ machte „Mischa“ Wolf bis Mitte der achtziger Jahre auch bei den Geheimdiensten im Westen Karriere. Der am 19.Januar 1923 in Hechingen bei Stuttgart geborene Sohn des jüdischen Dramatikers und Arztes Friedrich Wolf mußte 1933 mit seiner Familie zunächst in die Schweiz und später nach Frankreich emigrieren, da sein Vater als überzeugter Kommunist unter dem Nationalsozialismus mit Verfolgung rechnen mußte. 1934 begab sich Markus Wolf mit seinem Bruder Konrad, der später als Filmregisseur in der DDR bekannt wurde, in die Sowjetunion, wo er während des Zweiten Weltkrieges auch an der Kominternschule ausgebildet wurde. 1945 kehrte er in sowjetischer Offiziersuniform mit der „Gruppe Ulbricht“ nach Ost-Berlin zurück und wurde nach einem Gastspiel beim Berliner Rundfunk in den diplomatischen Dienst übernommen und an die DDR-Vertretung nach Moskau delegiert.

Die Laufbahn als Geheimdienstmann begann 1951, als er nach der Rückkehr aus Moskau mit dem Auf- und Ausbau eines Spionagedienstes für die DDR beauftragt wurde. 1958 avancierte Wolf — der unter anderem die Auszeichnungen Vaterländischer Verdienstorden in Gold (1969), Held der Arbeit (1983) und den Karl-Marx-Orden (1987) erhielt— zum Leiter der „Hauptverwaltung Aufklärung“, deren Spionagetätigkeit sich überwiegend gegen die Bundesrepublik Deutschland richtete. Sein Spionageimperium führte er mit der Präzision eines Schachspielers, wie ihm auch die Mitarbeiter westlicher Geheimdienste bescheinigten. Bis Ende der 70er Jahre existierte im Westen nicht einmal ein Foto des Drahtziehers der DDR-Spionage. Erst im Juni 1978 wurde er bei einem Besuch in Stockholm enttarnt, als er sich mit dem inzwischen wegen Spionage verurteilten bayerischen SPD-Landtagsabgeordneten Friedrich Cremer treffen wollte. Der Nürnberger Unternehmer Hannsheinz Porst, als „Einflußagent“ der DDR 1969 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt, über Wolf: „Er konnte auf eine sehr distanzierte Weise sehr herzlich sein und hatte keine Hemmungen, auf Gedanken einzugehen, selbst wenn sie nicht zum offiziellen Repertoire gehörten.“ Zu den ersten Agenten, die Wolf rekrutierte, gehörte auch der Kanzlerreferent Günter Guillaume, dessen Entlarvung im Mai 1974 den Rücktritt des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt auslöste.

Feinde hatte Markus offensichtlich aber nicht nur im Westen. Bei den ZK-Wahlen 1986 wurde der Gegenspieler Mielkes in der Staatssicherheit wiederholt nicht aufgenommen. Im Februar 1987 vermeldete der staatliche Verlautbarungsfunk der DDR schließlich, Wolf sei auf eigenen Wunsch aus dem aktiven Dienst bei der Staatssicherheit ausgeschieden. Der vorsichtige Verteidiger des Glasnost-Kurses von Michail Gorbatschow dementierte allerdings, seinerzeit aus Gesundheitsgründen in Pension gegangen zu sein.

Ob Markus Wolf wegen Spionage verurteilt werden kann, muß das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden. Das höchste Gericht in der Bundesrepublik wurde im Zusammenhang mit dem Prozeß gegen den Wolf-Nachfolger Großmann vom Berliner Kammergericht angerufen. Das Berliner Gericht bewertet die einseitige Strafverfolgung der Auslandsspione der DDR als verfassungswidrig, weil dies einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes darstelle. Demgegenüber aber hat der Bundesgerichtshof eine Strafverfolgung der Ost-Agenten mit der Begründung grundsätzlich befürwortet, daß deren Spionagetätigkeit im Kern gegen den „verfassungsmäßigen Bestand der Bundesrepublik“ gerichtet war. Wolfgang Gast

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