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Die Zauberlehrlinge

■ Ein aufschlußreiches Festival: „Schultheater der Länder“ — diesmal in Bremen

“So ein Theater!“ gehört zu den gängigen Flüchen auf Schulfluren, und niemand denkt dabei an die fächerübergreifende Kulturtechnik des dramatischen Spiels. Haben das Staatsschauspiel und die freie Szene allerorts zu kämpfen, entwickelt sich das Schultheater zur experimentellen Spielwiese für Schülerinnen und Schüler, die etwas gegen die Vereinzelung im Kurssystem und gegen eine Erziehung zur Bewegungsstörung haben. Ergebnisse solcher Bemühungen in der Bundesrepublik zeigte in der letzten Woche das „Schultheater der Länder 91“ in Bremen.

Das weitgefaßte Thema des Treffens lautete „Schultheater und Politik“. Eine Woche nichts als Theater in Theorie und Praxis: 14 Schultheatergruppen stellten sich mit ihren Inszenierungen den kritischen Blicken ihrer Schulkollegen und dem Urteil der anwesenden Theaterpädagogen. Letztere tagten in dieser Woche gleich zweimal, um über die Etablierung des darstellenden Spiels als Schulfach zu diskutieren.

Die in Bremen gezeigten Vorstellungen waren, bis auf eine Ausnahme aus Bayern, in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften entstanden. Drei Viertel der Teilnehmenden sind in der gymnasialen Oberstufe. Womöglich liegt das am Thema „Schule und Politik“.

In Bremen trafen sich die Schülerinnen und Schüler, um mit anderen über ihre eigenen Produktionen zu sprechen. In verschiedenen Werkstätten experimen

hierhin bitte das

Foto mit den zwei

Schultafeln

bitte mit Rahmen

drumrum!!!

Schule und Schöpfungsgeschichte: Joseph Beuys, Schiefertafelobjekt, 1972

tierten sie unter Anleitung mit Formen wie Kabarett, Agitprop, und Commedia dell'Arte. In anderen Werkstätten übten die 12- bis 20jährigen die Auseinandersetzung mit Themen.

Herbert Enge, Theaterpädagoge aus Hamburg, leitete eine Werkstatt zum Thema „Opfer und Täter im Faschismus“. Zwanzig jüdische Kinder waren 1945 von den Nazis in einer Hamburger Schule ermordet worden. Enge versuchte am Beispiel dieser Ereignisse, durch das Nachspielen von Situationen und das Einfühlen in die Schicksale der Kinder die Problematik der verordneten Betroffenheit bewußt zu machen und zu einer Form des Nacherlebens zu kommen.

Schüler des Gymnasiums in Neuwied hatten „Unsere Republik“, ein deutsches Singspiel, zum Treffen mitgebracht, eine Collage von Texten und Szenen — von Erich Kästner bis Peter Weiss. „Bei der Inszenierung haben wir etwas über die Zusammenhänge in der deutschen Geschichte gelernt“ sagten die jungen Neuwieder, unbeschwert von dem Vorurteil, daß Lehrreiches keinen Spaß macht.

Der 20jährige Siddhartha vom Berliner Rathenau-Gymnasium, das in Bremen mit Ernst Tollers 1937 im Exil entstandenen Komödie „Nie wieder Frieden“ vertreten war, faßt seinen Eindruck der vielen Eindrücke kurz: „Das ist ein anstrengendes Fest. Jeden Tag vier Vorstellungen ansehen, selbst spielen oder einen Workshop machen, ermüdet — ist aber auf jeden Fall interessant.“

Eine radikale Haltung bewahrte sich der Bremer Kunstpädagoge Jürgen Schmitz auch nach 20 Jahren Schultheater. Seine Antwort auf die Frage, warum er vom Theater mit Schülern so begeistert ist: „Warum? Ja, wahrscheinlich, weil ich noch nie im Leben etwas Nützliches getan habe.“ Julia Kossmann

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