: The Guerilla Girls Are in Town!
■ Alles Banane?
Alle eindimensional denkenden und arbeitenden Galeristen und Museumsdirektoren Berlins sollten sich in acht nehmen, denn hier wird mit Bananen geschossen, die für so manches »männliche chauvinistische Schwein« (O-Ton amerikanischer Feministinnen: MCP= male chauvinist pig) schwer zu verdauen sind. Der Ruf fulminanter Agit-Prop-Darstellungen war ihnen vorausgeeilt — ihr Programm und ihre Aktionen präsentierten drei der Guerilla Girls jedoch vergangenen Donnerstag in einer eher gezähmten Informationsveranstaltung in der Hochschule der Künste. Diejenigen im studentischen und/ oder feministischen Publikum, die im völlig überfüllten Hörsaal auf ein Spektakel hofften, wurden enttäuscht.
Die streitbaren Evastöchter erschienen in Schwarz und erzählten durch ihre Gorillamasken, in denen ab und zu eine längliche gelbe Frucht verschwand, ihre Story. Recht konventionell stellten sie dabei per Diashow ihre Plakate vor. Jedes ist Programm, ist Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Zustände in den USA, fordert in faktischen und teilweise schneidend ironischen Kommentaren zur New Yorker Kunstwelt — und zuletzt auch zum Golf-Krieg — zum Handeln und Nachdenken gegen eingeschliffene Sehweisen und verkrustete Akzeptanzen auf: Kritiker, die kaum über Frauen und Kunst schreiben, werden namentlich an den Pranger gestellt; kommerzielle Galerien, die schwarze Künstlerinnen ausstellen, werden aufgelistet (vier (!) zum Zeitpunkt der Erhebung); nüchtern werden Einkommensverhältnisse konstatiert: »Frauen in Amerika verdienen 2/3 dessen, was Männer verdienen. Künstlerinnen verdienen 1/3 dessen, was Künstler verdienen.«
Die ultrakonservativen Vertreter des Kunstestablishments, wie der berüchtigte Philipp-Morris-Lakai, Senator Jesse Helms, sind für die Guerilla Girls bevorzugte Angriffsziele: »Zuerst wollen sie den Frauen ihr Recht zur Wahl nehmen. Nun zensieren die Kunst.« Was gleichzeitig im Zuge des Abbaus aller demokratischen Reformen und Errungenschaften in der Reagan-Bush-Ära auf der Strecke bleibt, erklärt das Plakat »Missing in Action« — das Gesundheitssystem, Chancengleichheit und keine Diskriminierung von Frauen, die Ausforschung, Erziehung, Wiedergaberechte der Frauen, eine sichere Umwelt und alternative Energiepolitik. Entscheidende Themen sicher nicht nur in den USA. Die Guerilla Girls verstehen sich dort als das »Gewissen der Kunstwelt« und verbreiten ihre Botschaften, die oft einfach nur haarsträubende Zustandsbeschreibungen sind, durch ihren »Öffentlichen Dienst« im Volk.
Daß die etablierte Kunstszene in New York City, heimatliches Dschungelterrain der Gorilla-Ladies, ein mit Neurosen und Marotten behafteter, exklusiver Inzuchtklub ist, hat uns bereits der Satiriker- Wurm im Big Apple, Tom Wolfe, vorgeführt. Aber daß meist die, die vor den Nobelgalerien und musealen Renommierbetrieben Manhattans im Regen stehen bleiben, Künstlerinnen und Frauen sind, machten der verblüfften amerikanischen Öffentlichkeit erst die Guerilla Girls klar. Und dies seit 1985 höchst erfolgreich in verschiedenartigen Aktionen. »Wir benutzen zeitgenössische Medientechniken in unseren Strategien gegen das Kunstestablishment.«
So kommt es seither immer wieder zu überraschenden Ein- und Überfällen von Guerilla-Horden auf Ausstellungseröffnungen und Kunsthappenings, zu großangelegten Plakataktionen in New Yorks Subways, Bussen und auf Billboards, zu Anzeigenkampagnen in bekannten Kunstmagazinen, zu Rundbriefen, Vorträgen oder Radiosendungen.
Ihr Schlüsselerlebnis hatten die Ur-Guerillas vor sechs Jahren bei einem Besuch im Museum of Modern Art in New York. Eine »repräsentative« internationale Übersicht zur Malerei und Bildhauerei stellte 169 Künstler vor. Ganze 13 davon waren Frauen. Der die Ausstellung eröffnende Kurator bemerkte so lapidar wie zynisch: »Wenn Sie Künstler sind und nicht in dieser Ausstellung vertreten, dann sollten Sie ihre Karriere überdenken.« Derweil protestierten draußen vor dem MoMA Künstlerinnen in einer traditionellen und ineffektiven Demo. Anlaß genug für die Ur-Guerillas, neue Methoden und Strategien zu entwerfen, diesen und andere Mißstände publik zu machen, den seit den späten 70ern schlummernden Feminismus wiederzuerwecken und dabei das System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, nämlich mit einem cleveren Marketingkonzept. Im Lande des Showbiz obligatorisch, aber dennoch eine saure Pflichtübung: Willst du eine Sache gut verkaufen, mußt du sie geschickt verpacken. Spaß darf auch dabei sein (das magische Wort »fun«). So wurden denn, in irgendeinem Amüsiershop des Village vermutlich, die eklen Gummi- und Kunsthaarmasken erworben und als Guerilla Girls die ersten Galerien attackiert, die schon seit Jahr und Tag vorwiegend die künstlerischen Produkte des männlichen Genius ausstellten und verkauften. Denn »von einem weiblichen Genius hat ja wohl noch niemand etwas gehört oder gar gesehen«, so die widerspenstigen Kunst- Kates im Affenpelz.
Die Anonymität in schwarzer Montur und King-Kong-Maske hilft ihnen, ohne Persönlichkeit zu verraten oder der Selbstdarstellung zu verfallen, zur Konzentration auf die eine wichtige Pose — nicht das Individuum zählt, sondern die Message. Hinter dem Mummenschanz, der beim Publikum so gut ankommt, verbürgen sich, so wollen sie uns in ihrer A-Pe-rsonality Show weismachen, ganz normale Frauen jeden Alters und jeder Hautfarbe mit einem ebenso normalen Privatleben. Aber wer glaubt ihnen schon, und wer spekulierte nicht, daß sich hinter der einen Maske die bekannte New Yorker Kunstprofessorin verstecken müsse oder hinter der anderen eine berühmte Malerin.
Finanziert werden ihre Aktionen von dankbaren Künstlerinnen, die durch bewußtseinserweiternde Nachhilfe der Guerilla Girls bei sturen Galeristen und traditionsorientierten Museumsmenschen endlich die ersehnte Chance erhielten, durch anonmye Spenden und nicht zuletzt durch die Verkaufserlöse ihrer provokativen Plakate.
Zum Ende der Veranstaltung wird die Zuhörerschaft, reichlich mit Bananenfutter versorgt, mit der Aufforderung nach Hause geschickt, doch selbst eine Agit-Gruppe zu gründen. Vielleicht nicht gerade als Guerilla Girls oder mit ihrem Outfit, aber gegen sonstigen Ideenklau hätten sie nichts einzuwenden. Die Hauptsache sei, etwas zu tun! Bei der Anmeldung eines Copyrights könnte es allerdings auch für die Girls haarig werden, denn schon 1970 hat Dada-Enkel George Maciunas im Großraum New York in seiner Fluxmesse und anderen Fluxus-Aktionen, z.B. bei Gerichtsverhandlungen, die Affen tanzen lassen.
Aber schließlich wird Originalität hier zu einem zweitrangigen Problem. Noch weit mehr Guerilla Girls sollten aktiv werden und in sämtliche männlichen Domänen unserer Gesellschaft einbrechen, so lange einer zum obersten Bundesrichter avancieren kann, der Frauen sexuell belästigt. Eine andere Frage ist die von Qualität und Quantität in allen notwendigen Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen im Arbeitsleben sowie auf kulturellem und politischem Niveau. »Affirmative Action« wird es in den USA genannt, den Proporz zwischen Frauen und Männern herzustellen, der oft genug auch eingeklagt werden muß. Aber kann eine stalinistische 50/50-Regelung auf sämtlichen beruflichen Ebenen oder in ästhetischen Einschätzungen die Lösung im Geschlechterkampf sein?
Wen es zu gepriesenen und geratenen Taten drängt, der kann schon heute zumindest Zeitzeuge einer neuerlichen Aktion der Beasty Girls werden, wenn sie unserem Kultursenator im Europa-Center Bananen und kritische Worte statt Maulaffen feilbieten werden. Jeannine Fiedler
Weiterer Vortrag im Rahmen der Reihe im unterschied. positionen zeitgenössischer künstlerinnen: Barbara Kruger (New York) 11. November 1991, 14 Uhr
8. November 1991, 16 Uhr: Vortrag von Kasper König: »Können Kunsthochschulen sich heute regenerieren?«
Beide Veranstaltungen in der HdK, Hardenbergstraße 33, Hörs. 158
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