piwik no script img

Antisemitismus-betr.: "Warum lieben die Deutschen die Juden so sehr?" von Sonja Margolina, taz vom 9.11.91

betr.: „Warum lieben die Deutschen die Juden so sehr?“ von Sonja Margolina, taz vom 9.11.91

[...] Der Artikel besteht aus bewußten Falschmeldungen, ist schlecht recherchiert und beinhaltet außerdem eine gesunde Dosis Antisemitismus.

Ich weiß nicht, ob Sonja kürzlich in Rußland war und ob sie noch das obligatorische „Jude“ in ihrem russischen Paß hat, denn dann hätte sie gewiß persönlich, vielleicht sogar physisch, von der Pamjat-Bewegung erfahren, der immer mehr Fanatiker, auch Intellektuelle und Politiker, zulaufen und deren radikaler Antisemitismus nicht vor Nötigung und schließlich Mord haltmacht. Gewiß, Juden können jetzt leichter ausreisen, aber die Schikanen und Ächtungen vor der Ausreise werden gern unterschlagen. Und wenn es den Minderheiten in der Sowjetunion schlecht geht, dann sind die Juden allerdings privilegiert: denen geht es dann besonders schlecht. Das haben die Lebensmittellieferungen des letzten Winters gezeigt, die ohne jüdische Hilfe von außen und ohne gefahrvolle jüdische Selbsthilfe von innen an den Juden vorbeigelaufen wären. Es ist falsch, zu behaupten, daß die meisten Juden aus der Sowjetunion „Antisemitismus“ als Ausreisegrund nicht erwähnen. Vielleicht Sonja gegenüber. Diese Juden spüren, wem sie vertrauen können.

Und nun zu den Deutschen und den Juden: Gerade im Augenblick (ich kenne einen konkreten Fall in Hamburg) will der Staat beweisen, daß er in der Abschiebepraxis keinen bevorzugt, daher werden Juden jetzt gern ausgewiesen. Das antisemitische Vorurteil, daß der Ruf „Hilfe! Antisemitismus!“,,das Bleiberecht garantiert, kann beruhigt unter Fabeln und Märchen abgelegt werden. Das schlechte Gewissen der Deutschen ist nicht so schlecht, wie Sonja uns glauben machen will. Sie klagt weiter über die Ignoranz der Juden (!) zum Thema Ausländerproblematik. Es gibt aus den bekannten Gründen zwar wenige Juden hier und doch scheint Sonja einige nicht zu kennen, nämlich die, die zum Ausländerhaß Stellung genommen haben, ohne Bettlaken aus dem Fenster zu hängen. Sie beschwert sich, daß sich die Juden nicht äußern und fragt nicht, wo denn Engholm mitsamt seiner Partei in Sachen Greifswald und Norderstedt ist? Aber auch vor dem Kurdenproblem macht Sonja Selbsthaß nicht Halt, und sie unterschlägt, daß Israel das einzige Land war, das die Kurden über viele Jahre wirtschaftlich und militärisch unterstützt hat. Was sagen eigentlich die in Deutschland lebenden Mohammedaner oder die Türken zur Kurdenfrage, Sonja? Was die Katholen zu Kroatien? Sonja, Du könntest den Deutschen eins auswischen und Dich nicht mehr als Alibijüdin mißbrauchen lassen, um den „Flicken am deutschen Riß“ mit Deiner Anwesenheit zu verstärken. [...] Michael Bergmann, Hamburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen