: Bonn macht Berlins Altbaumieten teuer
■ 475.000 Wohnungen betroffen/ Senator: »Noch nicht verloren«/ Protest von allen Seiten — außer der CDU/ Mobilmachung der Unterschriftenfront
Bonn/Berlin. Schwere Schlappe für den Senat: Der Bundestag lehnte am Donnerstag abend die von Berlin geforderte Verlängerung der Mietpreisbindung ab. Bis Ende 1994 hätte die Regelung für 475.000 Altbauwohnungen in West-Berlin weitergelten sollen. Ab Januar können nun im Westteil die Hausbesitzer von Altbauten alle drei Jahre die Miete um 30 Prozent anheben. Bei Neuvermietung dürfen sie sogar eine beliebig hohe Miete eintreiben — es sei denn, sie kassieren eine schwer nachweisbare Wuchermiete.
Der Ostteil ist von der Entscheidung des Bundestages nicht betroffen — in dieser Stadthälfte gilt ohnehin für Alt- oder Plattenbauten, die vor dem 3. Oktober 1990 bezugsfertig waren, eine Mietpreisbindung. Wie kräftig die Miete erhöht werden darf, ist staatlich festgelegt.
Wolfgang Nagel, von der SPD gestellter Bausenator, tönte gestern zwar lautstark, daß die Bemühungen um eine Mietbindung »bei weitem noch nicht verloren« seien. Walter Hitschler, wohnungsbaupolitischer Sprecher der Bundes-FDP, sagte der taz aber klipp und klar, daß auch im Dezember »keine andere Entscheidung fallen wird« — dann wird im Bonner Wasserwerk das Gesetz in zweiter Lesung behandelt. Eine Verlängerung der Mietbindung für Berlin würde nicht helfen, die Wohnungsnot zu beheben, begründete der FDPler. Der Bausenator solle sich mehr Mühe beim Wohnungsneubau geben. Gegen diesen Vorwurf wehrte sich Nagel ausdrücklich. Zur Zeit seien 20.000 Wohnungen im Bau — eine Spitzenleistung für Ballungsgebiete.
Otto Edel, wohnungsbaupolitischer Sprecher der Berliner SPD, wertete Nagels Optimismus bezüglich des Mietengesetzes ab: »Solche Äußerungen sind sein Job.« Edels Meinung nach ist die Bonner Ablehnung nur ein Vorspiel. Der Bundestag werde vermutlich auch das Miethöhegesetz, das die Mieten in Großstädten und Ballungsräumen begrenzen soll, ablehnen. Edel befürchtet, daß unter der Aufhebung der Mietbindung besonders die Bewohner in alten Arbeitervierteln und in Stadtteilen mit schlechter Altbausubstanz — Neukölln, Kreuzberg und Wedding — leiden werden. Denn Mieter ziehen dort häufiger aus, weil die Wohnungen Mängel haben. Dadurch würden die Mieten im Verhältnis zu besseren Wohngegenden drastisch steigen. »Die Aufhebung ist ungerecht«, schließt Edel.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete die Bonner Entscheidung als einen »Anschlag auf die Lebens- und Wohnverhältnisse von Hunderttausenden Mietern«. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, der es 1988 versäumt habe, definitiv die Mietpreisbindung festzuschreiben, lenke mit Krokodilstränen »vom eigenen Versagen« ab. Der Berliner Mieterverein kündigte gestern eine Unterschriftenaktion an, die der DGB, die SPD, das Bündnis 90/Grüne und die Deutsche Angestellten Gewerkschaft unterstützen wollen.
Die großangelegte Unterschriftenaktion soll auch auf eine Ausweitung des Mieterschutzes in anderen Ballungsgebieten hinwirken, sagte Hartmann Vetter, Vertreter des Mietervereins. Vetters Angaben nach liegen die Mieten bei Neuvermietung von Altbauwohnungen über neun Mark pro Quadratmeter und damit rund 40 Prozent über dem Mietenspiegel. Das sei das Ergebnis einer Umfrage bei 700 Haushalten. In Zeitungsannoncen hätten sich die Quadratmeterpreise in den letzten drei Jahren auf über 22 Mark verdoppelt.
Elisabeth Ziemer, wohnungsbaupolitische Sprecherin des Bündnis 90/Grüne, warnte, daß bereits bei höheren Einkommen die notwendigen Mieten nicht mehr bezahlt werden könnten. Dirk Wildt
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