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Die Spitzel im Talar bleiben im verborgenen

Kirchen fürchten Aufarbeitung der Stasi-Verstrickung/ Die Überprüfung von MitarbeiterInnen auf eine frühere Stasi-Tätigkeit kommt nicht voran/ Initiativgruppe fordert Entlassung von ehemaligen Informanten des MfS  ■ Von Hubertus Knabe

„Dieser Beschluß wird wie ein Bumerang auf die Kirche zurückschlagen.“ Mit diesen Worten reagierte der Ostberliner Pfarrer Rudi Pahnke am Mittwoch abend in der Gethsemanekirche auf den Beschluß seiner Landeskirche, ihre Mitabeiter nicht auf eine frühere Stasi-Tätigkeit zu überprüfen. „Die Kirche wird so beschäftigt sein mit dem Mißtrauen in den eigenen Reihen, daß sie nicht den Rücken frei hat, um für die Menschen dazusein.“

Die Art und Weise, wie die Kirchen seit der Wende in der DDR mit ihrer eigenen Verstrickung in das alte System umgehen, löst an der Basis und unter den früheren Wortführern der Opposition zunehmend Empörung und Verbitterung aus. Während die Öffentlichkeit die Kirchen lange Zeit als „Helden der Revolution“ feierte, haben die BürgerrechtlerInnen das Lavieren und Bremsen vieler Kirchenverantwortlicher nicht vergessen. Inzwischen zeigen Unterlagen aus den Archiven des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), daß diese Konflikte systematisch von der Stasi geschürt wurden — in erster Linie mittels Inoffizieller Mitarbeiter (IM), die in der Kirche für die Stasi tätig waren.

Wie sehr der perfektionistische Anspruch des MfS auf lückenlose Durchdringung der Kirchen tatsächlich gelungen war, stellten PastorInnen und BürgerrechtlerInnen immer dann fest, wenn sie Einblick nehmen konnten in die Archive — zum Beispiel im Bezirk Neubrandenburg. Dort mußte der Leiter der Arbeitsgruppe zur Untersuchung der nach innen gerichteten Tätigkeit des MfS, Ulrich von Saß, die Erfahrung machen, daß nicht nur Friedensgruppen oftmals zur Hälfte von Spitzeln durchsetzt waren, sondern diese auch in Synoden, Superintendenturen und kirchlichen Leitungsgremien operierten.

In Thüringen wurden inzwischen 43 kirchliche Mitarbeiter enttarnt, von elf weiteren weiß man bisher nur die Decknamen. Schon jetzt wurde dabei deutlich, daß verhältnismäßig viele IMs auf der höheren und mittleren Kirchenebene tätig waren, während sie seltener in den Gemeinden operierten — die Stasi wollte die Kirchenpolitik beeinflussen. Wie sehr ihr das in Thüringen gelang, mußten Gruppen wie die „Jenaer Friedensgemeinschaft“, erfahren, denen die Kirchenleitung wiederholt die Rückendeckung versagte — die Stasi nannte das den „Thüringer Weg“.

Die Arbeit des MfS in den Kirchen beruhte auf einer Einteilung ihrer Mitarbeiter in „realistisch-progressive“ auf der einen und „feindlich- negative“ oder „klerikale“ Kräfte auf der anderen Seite — letztere sollten durch umfangreiche Maßnahmepläne zersetzt, beeinflußt und kontrolliert werden. Inoffizielle hatten beispielsweise die Aufgabe, auf Synoden oder anderen Zusammenkünften bestimmte Anträge zu stellen und bei Personalentscheidungen ihren Einfluß geltend zu machen. Aus dem planvoll koordinierten Zusammenspiel von Auftrag und Überzeugung ergaben sich dann immer wieder die vom MfS gewünschten Ergebnisse. Noch im März 1989 stellte die Stasi etwa nach der Synode der Mecklenburgischen Landeskirche fest, daß die Nominierung des Bundessynodalen so ausgefallen sei, daß „keinerlei feindlich-negative Angriffe in diesem kirchenleitenden Gremium zu erwarten sind“.

Ein zentrales Instrument des MfS bildeten bei diesem Vorgehen „progressive“ Organisationen wie die Christliche Friedenskonferenz, die Gossner Mission, die Sächsische Bruderschaft und die Aktion Sühnezeichen. In einem Stasi-Bericht von 1989 über das jährliche Basisgruppentreffen „Konkret für den Frieden“ heißt es beispielsweise, daß Vertreter dieser Organisationen „durch ein besser aufeinander abgestimmtes und offensiveres Auftreten dazu bei[trugen], daß in zurückliegenden ,Friedensseminaren‘ aufgetretene Tendenzen eines Aktionismus keine Fortsetzung fanden, Anträge negativen Inhalts [...] auf Ablehnung stießen und progressiven Erklärungen zugestimmt wurde“.

Daß es bei diesen Stasi-Operationen nicht nur um papierne Entschließungen ging, die politisches Wohlverhalten signalisieren sollten, zeigte eine erschütternde Szene in der Gethsemanekirche. Die Organisatoren von der Initiative Recht und Versöhnung, die eine Entlassung der ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter aus dem kirchlichen Dienst für notwendig hält, hatten sich bemüht, auch ehemalige Stasi-Mitarbeiter auf das Podium zu bekommen — doch nur ein einziger IM war gekommen.

Konstantin, bis zum Sommer Pfarrer in Thüringen und nach seiner Enttarnung freiwillig aus dem kirchlichen Dienst ausgeschieden, hatte unter anderem die Friedensgemeinschaft Jena ausgehorcht, die Ende der siebziger Jahre verhaftet und in den Westen abgeschoben wurde. „Ich laufe hier seit einer Stunde wie irre durch die Kirche, weil ich es nicht fassen kann“, sagte eines seiner Opfer, und ein anderes: „Konstantin, du hast ihnen geholfen, mich ins Gefängnis zu bringen.“

Vielen ist vor diesem Hintergrund unbegreiflich, warum die Kirchen bislang keinerlei Anstrengungen unternommen haben, das Wirken der Stasi in ihren Reihen von sich aus aufzuklären — ihre in der Wende gewonnene Reputation hat dadurch bereits jetzt deutlich Schaden genommen. Lange Zeit haben sie an die Spitzel im Talar nur unverbindlich appelliert, sich freiwillig in einem seelsorgerlichen Gespräch zu entlasten, was — trotz Beichtgeheimnis — kaum einer getan hat.

Erst in diesem Jahr haben die ostdeutschen evangelischen Landeskirchen — bis auf Berlin-Brandenburg— die Regelüberprüfung beschlossen. Bei der Gauck-Behörde hat aber noch niemand seine Namensliste eingereicht. Die katholische Kirche hält sich gänzlich bedeckt und soll, wie zu hören ist, in Bonn sogar verhindert haben, daß die Akten des von der Stasi gesteuerten Staatssekretärs für Kirchenfragen aufgearbeitet werden.

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