piwik no script img

Schlanker und effizienter?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Europa geht stürmischen Zeiten entgegen  ■ Von Philippe Ressing

Nicht nur in der Bundesrepublik ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in unruhiges Fahrwasser gekommen. Auch bei unseren westeuropäischen Nachbarn führt die kommerzielle Konkurrenz zu schwindenden Werbeeinnahmen, die Zuschauerzahlen sinken und die Programmkosten explodieren. Allein rund 100 TV-Programme tummeln sich im europäischen Äther, etwa drei Viertel finanzieren sich teilweise oder vollständig aus Werbeeinnahmen.

In Italien hatte die staatliche RAI bei rund 10.000 Beschäftigten bereits 1989 über zwei Milliarden Mark Schulden. Durch den Verkauf von Grundstücken, Einsparungen und durch die Einfügung von TV- Werbung auch in der RAI-Tagesschau wurde versucht, das Geld hereinzubekommen.

In Frankreich das gleiche Bild. Unlängst forderte der Finanzminister die öffentlichen Anstalten Antenne2, FR3, La Sept und Radio France auf, kürzer zu treten. Er erwartet Einsparungen in Höhe von umgerechnet 200 Millionen Mark, was etwa deren Jahresdefizit in diesem Jahr entspricht. Generalintendant Herve Bourges ordnete 3.800 Entlassungen bei FR3 und Antenne2 an.

Der letztgenannte Sender hat gerade noch halbsoviel ZuschauerInnen wie die kommerzielle Konkurrenz von TF1.

Auch beim spanischen Staatsfunk RTVE hängt seit der Einführung kommerziellen Rundfunks 1989 der Haussegen schief. Die Konkurrenz von drei Privatprogrammen ließ bei RTVE das Defizit in diesem Jahr auf eine Milliarde Mark hochschnellen. Die ersten 250 Kündigungen wurden bereits ausgesprochen. Generaldirektor Jordi Garcia Candau ließ ein Streik der 12.500 Beschäftigten im August ziemlich kalt, er will 1.600 Mitarbeiter loswerden, das vierte Radioprogramm einstellen und Regionalstudios schließen.

In den Benelux-Staaten bewirkten technische Veränderungen neben der allgemeinen europäischen Deregulationspolitik die Strukturveränderung des Rundfunksystems. In Belgien sind fast 90 Prozent der Haushalte verkabelt und im flämischen Teil sendet seit 1989 das kommerzielle VMT-Programm. Die Zuschauerzahlen des öffentlich-rechlichen BRT sanken dort rapide.

Das französischsprachige RTBF mußte zu drastischen Sparmaßnahmen greifen. Bei 3.000 MitarbeiterInnen und einem Jahresetat von etwa 350 Millionen Mark soll die Anstalt 60 Millionen und zehn Prozent des Personals einsparen. Jetzt steht das Rundfunkorchester auf der Abschußliste.

Auch in den Niederlanden hat die flächendeckende Verkabelung — etwa 71 Prozent der Haushalte sind angeschlossen — das Rundfunksystem aus den Angeln gehoben. Das Luxemburger TV-Programm von RTL4 knabbert heftig an den Einschaltquoten von Nederland1 und 2, obwohl der Sender nur per Kabel und Satellitenschüssel in Holland empfangbar ist.

Die Unternehmensberater von McKinsey schlugen als Gegenstrategie Einsparungen und die Orientierung am Massengeschmack vor. Die öffentlich-rechtliche Werbegesellschaft STER verbuchte nur noch 453 Millionen Gulden Werbeeinnahmen, 24 Millionen weniger als zuvor. Die NOS, eine Stiftung, die rundfunk- und produktionstechnische Dienste den Rundfunkveranstaltern kostenfrei zur Verfügung stellt, kündigte die Reduzierung ihres Mitarbeiterstabs um 600 auf 2.000 Beschäftigte an.

Die Situationen in Großbritannien und in der Schweiz unterscheiden sich insofern vom Beschriebenen, als die BBC schon lange kommerzielle Konkurrenz hat, während in der Alpenrepublik bisher allein öffentlich-rechtliches Fernsehen veranstaltet wird.

Die BBC überstand zwar die stürmischen achtziger Jahre besser als ihr kommerzielles Pendant von ITV. Hinsichtlich der Einschaltqouten fiel sie aber in diesem Jahr hinter ITV zurück. BBC-Generaldirektor Michael Checkland verkündete für die Jahre 1990 bis 1993 einen drastischen Sparkurs und den Abbau von 3.000 der insgesamt 28.000 Arbeitsplätze mit dem Ziel einer „schlankeren, effizienteren“ Rundfunkorganisation an. Ab 1993 sollen, bei einem Gesamtetat von 3,5 Milliarden Mark, 225 Millionen jährlich eingespart werden.

Auch die eidgenössische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) geriet in eine prekäre Finanzlage. Bei 850 Millionen Franken Aufwendungen im letzten Jahr erwirtschaftete sie knapp 55 Millionen Franken Miese. Bis 1992 sollen nun 270 der insgesamt 4.500 Stellen gestrichen werden. Der Berner Bundesrat will dem Schweizer Fernsehen demnächst Sonntagswerbung und Tele- Shopping erlauben. So hofft man gegenüber der bald auch in der Schweiz zugelassenen privatkommerziellen Konkurrenz bestehen zu können.

Die öffentlich beziehungsweise staatlich organisierten Rundfunkanstalten in Westeuropa müssen sparen und gleichzeitig mehr Geld für publikumsattraktive Programme ausgeben. Erhöhungen der Rundfunkgebühren stoßen zunehmend auf Protest in der Bevölkerung, kommen die Kommerziellen doch scheinbar kostenlos ins Haus. Eine Zunahme der Werbeeinnahmen gibt es aber nur, wenn sich das Programm den Interessen der Werbekunden unterordnet und die Beschränkungen der Werbefreiheit aufgehoben werden.

International ist eine Programmnivellierung im Gange, kostspielige Minderheitenprogramme verschwinden oder werden auf unattraktive Programmplätze und Sender verdrängt. Rationalisierungswünsche im Personalsektor und politscher Druck führen dazu, daß öffentlich-rechtliche Anstalten Programme zunehmend von kommerziellen Produzenten in ihrem Auftrag herstellen lassen. Bereits heute ist ein Engpaß auf dem Programmarkt spürbar, öffentlich-rechtliche wie kommerzielle Sender haben nicht genug Material, um ihre Programme zu füllen, und so setzen sie dem Publikum zunehmend Wiederholungen vor. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen dieses Beschaffungsproblem durch europaweite Zusammenarbeit im Bereich der Koproduktionen lösen. Aber auch die kommerzielle Konkurrenz setzt auf Konzentration. Unternehmer wie Berlusconi, Murdoch, Kirch sowie RTL und Bankenkonsortien sind an diesem Pokerspiel um Programme, Filmrechte und Satelliten beteiligt. Daß in diesem Prozeß die spezifischen Eigenarten der einzelnen Länder und Kulturen sowie die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen auf der Strecke zu bleiben drohen, liegt auf der Hand.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen