: Der Tag der Tragödien
Steffi Graf wird bei den Australian Open erneut von einem Virus heimgesucht, während Davis-Cup-Hero Henri Leconte einem gemeinen Brudermord durch Guy Forget zum Opfer fällt ■ Aus Melbourne Mario Vigl
Bei den Australian Open in Melbourne war der Dienstag der Tag der Tragödien. Erst brachte eine Diagnose eines Herrn Doktor Sam Biermann das blanke Entsetzen über die Weiten der Tennisanlage. Und kurz darauf fiel der göttliche Henri Leconte einem gemeinen Brudermord zum Opfer.
Zum ersten: Steffi ist krank. So schlicht war die Mitteilung des Doktors, die den Journalisten von Frauen-Bundestrainer Klaus Hofsäss vorgetragen wurde. Steffi laboriere bereits seit Ende Dezember mit einer Mittelohrentzündung, zu der sich zu allem Pech ein Hautausschlag gesellte. Der Verdacht, der Ausschlag komme von den Ohr-Medikamenten, bestätigte sich nicht. Ein Bluttest ergab, daß Steffi Graf — wie schon beim Hopmann-Cup in Perth vor drei Wochen — erneut von einem Virus befallen ist. Fieber und Übelkeit, anstatt Monica Seles wieder die Nummer Eins abzunehmen. Bereits am Dienstag reiste die malade Steffi Richtung Deutschland ab, wo sie beim Freiburger Dr. Keul, dem Kult- Doc aller Sportler, Rat suchen wird. „Vielleicht braucht sie sogar einen Monat Pause“, mutmaßt Hofsäss.
Zweite Tragödie: Henri „Davis- Cup“ Leconte wurde von Team-Kollegen und Freund in einem Fünf- Satz-Drama gemeuchelt. Die teuflische Auslosung hatte die beiden Franzosen in der ersten Runde aufeinandergehetzt, nationales Unglück ebenso wie zwischenmenschliche Tragödie. „Es ist, wie wenn du deinen Bruder niederschlagen müßtest“, trauerte Guy nach dem 2:6, 6:4, 6:7, 6:4 und 6:3 gegen seinen Kameraden. „Ich bin tot“, teilte Henri nach dem Match der schreibenden Zunft mit. Die wissenschaftliche Erklärung seinerseits: „Wir waren beide so nervös, daß unsere Muskeln nicht locker waren. Deshalb haben wir jetzt schwere Krämpfe.“ Danach konnte Professor Leconte gerade noch zum gemeinsamen Abendessen mit Forget und Anhang ächzen. „Wir sind natürlich immer noch Freunde“, beteuert der Verlierer generös. Während die Franzosen ihre geschundenen Muskeln massieren ließen, sorgte der überzeugte Kroate Goran Ivanisevic auf Court One für Publikumsreaktionen irgendwo zwischen FC Schalke und den New Kids on the Block. 500 Landsmänner sorgten bei Ivanisevics Spiel gegen den Australier Jason Stoltenberg für Dezibelrekorde. Ein Fahnenmeer bei jedem Punktgewinn, schrille Schreie 13jähriger [analog zur Überschrift oder wie?, d. s-in] Kroatinnen, wenn Goran sein T-Shirt wechselte. Eine seltsame Mischung aus politischer Kundgebung und pubertärem Starkult.
Virusfrei zeigten sich die restlichen deutschen Spieler in Melbourne. Der größte Coup gelang Barbara Rittner aus Leverkusen: Sie bezwang die holländische Aufschlag-Wucht Brenda Schultz, das einzige weibliche Wesen, das ja einen Aufschlag schneller als 200 Stundenkilometer beschleunigt, mit 6:1, 3:4 und 6:4. Sabine Hack gewann gegen Catherine Tanvier (Frankreich) ebenso wie Marketa Kochta gegen Heather Ludloff (USA) in zwei Sätzen. Altmeisterin Claudia Kohde-Kilsch verblüffte die Fachwelt mit ungekannter Nervenstärke: 6:1, 1:6 und 7:5 gewann sie zum ersten Mal seit recht geraumer Zeit ein knappes Match gegen Claudia Porwik. Der Berliner Markus Zoecke schoß den Kanadier Grant Connell mit lasergleichen Aufschlägen in drei Sätzen aus dem Turnier. Zoecke war auch mit einem orangenen Piraten-Kopftuch sehr auf der Höhe der Zeit — absolut sponsorenfähig, seine Erscheinung. Eine Position in der Milchschnitten-Werbung ist ja derzeit vakant. Auch Wimbledonsieger Michael Stich darf weiter mittun. Nur einen kurzen Schwächeanfall leistete er sich gegen Javier Sanchez, als er den dritten Satz abgab, schließlich aber doch mit 7:5, 6:1, 4:6 und 6:3 gewann.
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