: Koreas „Liebensdienerinnen“ klagen an
Während der japanischen Besatzung wurden über 100.000 Frauen in die Prostitution gezwungen/ Staatsbesuch aus Japan ■ Aus Seoul Peter Lessmann
„Von einer reichen Familie im heutigen Nordkorea, wo ich damals als Hausmädchen arbeitete, wurde ich unter einem Vorwand nach China verschleppt, um angeblich in einer Textilfabrik zu arbeiten. Doch kaum dort angekommen, landete ich in einem Militärcamp der Japaner in Killung. Als ich merkte, was hier passierte, habe ich geweint, mich überall versucht zu verstecken. Aber die japanischen Soldaten schlugen mich immer wieder. Es war grausam, und ich war erst 17.“
Die Südkoreanerin Whang Kum Joo erzählt von der schrecklichsten Zeit in ihrem Leben. Das war 1944. Tränen fließen, ihre Stimme bebt, und sie ist zornig. Die heute 65jährige ist nicht nur äußerlich von einem schweren Leben gezeichnet. Auch ihre Seele ist zerstört — über ihren Schmerz und Kummer kann sie selbst 48 Jahre später nur sehr schwer mit jemandem sprechen.
Whang ist eine von 100.000 bis 200.000 Koreanerinnen, die während der japanischen Besatzung Koreas (1910-45) und des Krieges der ehemaligen imperialen Macht im Pazifik von Truppen verschleppt wurden. Gewaltsam wurden die Frauen in die Prostitution gezwungen und mußten in Japan, China oder anderswo in Asien als sogenannte „Liebesdienerinnen“ (comfort girls) für die japanischen Soldaten arbeiten. Rund 10.000 Frauen, glaubt die Seouler Professorin Yoon Chong Ok, dürften heute noch leben. Aber die meisten trauten sich nicht, öffentlich über ihr Schicksal zu sprechen.
Daß das Thema nicht nur in Japan, sondern auch in Korea so lange verschwiegen wurde, hat nach Ansicht von Yoon auch mit der passiven Haltung der Seouler Regierung zu tun. Ein südkoreanischer Frauenverband vergleicht das Schicksal der Frauen gar mit dem Massenmord der Nazis an den Juden.
Frauen wie Whang ist es zu verdanken, daß die ungelösten Probleme der Betroffenen überhaupt aufgegriffen wurden. Bis vor kurzem hatte Tokio alle Verantwortung von sich gewiesen und die Rekrutierung von Koreanerinnen durch das damalige Militär geleugnet. Dann wurde jedoch ein Dokument in Japan bekannt, das beklagte, daß die Armee eben nicht nur Männer zu Arbeitsdiensten einzog und zu Sklaven gemacht hatte, sondern auch systematisch Frauen verschleppte.
Selbst vor Kindern machte die ehemalige Kolonialmacht auf der koreanischen Halbinsel nicht halt. Und es war ausgerechnet eine japanische Lehrerin, die vor einigen Tagen berichtete, daß sie selbst damals in Korea Eltern überreden mußte, ihre Töchter im Alter von zwölf oder 13 als „comfort girls“ ins japanische Militär zu schicken. „Es war eine unwiderstehliche Anordnung des Kaisers“, sagte sie einer Seouler Tageszeitung.
Die heute 66jährige Lee Ok Bun aus der Hafenstadt Pusan wurde als Zwölfjährige von Soldaten vergewaltigt, in die Prostitution gezwungen und nach Taiwan verschickt. „Es war im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle“, erinnert sich Lee. „20 bis 30 Soldaten pro Tag, einige Frauen versuchten zu fliehen und wurden getötet. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, überläuft mich ein kalter Schauer, und ich bekomme nur noch Wut“, sagt Lee.
Im Seouler Büro des Vereins der Opfer des Pazifischen Krieges betreten wir ein kleines Hinterzimmer. Eine Kamera ist aufgebaut, und Whang Kum Joo sitzt beschämt auf einem Sessel hinter einem Schreibtisch. Ich komme mir fehl am Platz vor. Der Mut der Frau ist bewundernswert, über ein so sensibles Thema mit solcher Offenheit zu sprechen. Und ich wundere mich kaum, daß es nur so wenige tun.
Von 1944 bis 1945 lebte Whang mit weiteren Leidensgenossinnen unter den japanischen Soldaten. „Wir hatten keinen Tag Ruhe, es gab nur schlechte Nahrung, keine Kleidung oder Menstruationspackungen“, sagt Whang. Und als sie über Menstruation spricht und die Reaktion der japanischen Soldaten schildert, flüstert mir meine Übersetzerin zu, ihr werde übel. „Was ich in dieser Zeit alles erlebte und ertragen mußte, das kann ich gar nicht beschreiben“, sagt Whang.
Von dem japanischen Regierungschef Kiushi Miyazawa, der am Donnerstag zu einem Staatsbesuch nach Seoul kommt, verlangt sie nicht nur nette Worte des Verzeihens, sondern ein aufrechtes Eingestehen der Schuld und Entschädigung der Opfer. Doch mit Vergangenheitsbewältigung hat sich Japan immer schon sehr schwer getan, auch wenn der Premier eine Stellungnahme und Entschuldigung über dieses Thema angekündigt hat.
Etwa 200 Hinterbliebene und Opfer der Verschleppten protestierten am Mittwoch vor der Tokioter Botschaft in Seooul. Die antijapanischen Ressentiments, gerade unter der älteren Generation, haben sich mit dem Miyazawa-Besuch jedenfalls wieder neu entzündet. „Japan hat die koreanischen Frauen fürchterlich ausgebeutet“, sagt Whang, und sie will nicht, daß sich das Problem von alleine löst: „Ich will eine Entschädigung noch vor meinem Tod.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen