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KOMMENTAREVerschwimmende Kriterien

■ Nach-Wende-Fundamentalismus reicht für ein Urteil gegen Stolpe nicht aus

In Potsdam stehen die Zeichen auf Sturz. Die täglich neu präsentierten Facetten aus Manfred Stolpes Vermittlerrolle der Vor-Wendezeit entwickeln eine Dynamik, die den brandenburgischen Ministerpräsidenten in eine nur noch schwer korrigierbare Schieflage bringt. Stolpes Rechtfertigungsversuche konnten dagegen ebensowenig ausrichten wie das Votum der Parteien, die — von PDS bis CDU — Stolpe aus höchst unterschiedlichen Motiven bislang noch im Amt halten wollen. Doch unter dem Druck der gewandelten Stimmungslage scheint jetzt auch die CDU bereit, auf den Zug zu springen, der Manfred Stolpe aus dem Amt befördern soll. Wenn der populäre Sozialdemokrat schon nicht zu halten ist, um als prominente Zielscheibe der CDU von deren eigener Mühsal mit der DDR-Vergangenheit abzulenken, dann will die Union zumindest auf der Enthüllungswoge mitreiten, die Stolpe ins politische Aus trägt.

Je mehr neue Informationen über Stolpes frühere Verhandlungspolitik ans Licht kommen, desto verschwommener werden die Kriterien, an denen die Frage nach seiner politischen Zukunft eigentlich beantwortet werden soll. Sind es die konspirativen Kontakte zur Staatssicherheit, seine lavierende Doppelstrategie gegenüber der kirchlichen Opposition, die „Berichte“ über seine westdeutschen Gesprächspartner oder die Einschätzungen zu Bischof Krusche, die ihn jetzt als Spitzenpolitiker untragbar erscheinen lassen? — Alles zusammen erst macht die zwielichtige Gemengelage, in der Stolpe jetzt zu versinken droht. Zweifellos hat er selbst mit der unkonkret summarischen „Offenlegung“ seiner Stasi-Kontakte die Kontroverse um seine Person angefacht und zugleich im Nebel gehalten.

Doch daraus allein wird noch kein Freibrief für die Medienöffentlichkeit, Stolpe den Rücktritt aufzuzwingen. Kippt Stolpe lediglich auf der Basis der bisherigen Informationen, so wäre das nicht nur ein Urteil über seine einstige politische Rolle, sondern zugleich ein Verdikt über das Politikkonzept, das er verkörperte. Mag sein, daß Stolpe zuweit ging, daß generell an der DDR-internen wie der deutsch- deutschen Entspannungspolitik „aus heutiger Sicht“ nicht allzuviel zu retten ist. Doch die Debatte, nach der einer für seinerzeit außer Frage stehendes Lavieren und Taktieren heute die Konsequenzen zu ziehen hätte, steht noch aus. Mit dem jetzt gängigen Nach-Wende-Fundamentalismus jedenfalls, an dem Stolpe zu scheitern droht, wird die Debatte nicht geführt, sondern zugeschüttet. Matthias Geis

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