piwik no script img

Die He-Männer gelobten Besserung

Fernsehen als Hilfe und Orientierung beim Erwachsenwerden? Eine Studie zum Fernsehalltag von Kindern  ■ Von Lothar Mikos (epd)

Im Auftrag der Hamburgischen Anstalt für neue Medien (HAM) untersuchte eine Projektgruppe des Münchner Instituts Jugend Film Fernsehen (JFF) den kindlichen Fernsehalltag.

Bekanntlich klagen viele Lehrer über das sogenannte Montagssyndrom: Die Kinder sind im Unterricht unkonzentriert und kaum ansprechbar, weil ihnen noch die Fernseherlebnisse vom Wochenende im Kopf „herumspuken“. Die Münchner Medienforscher waren nicht angetreten, um diesem Spuk ein Ende zu bereiten, sondern sie setzten sich ernsthaft mit den Fernseherlebnissen der Kinder auseinander, um so das Verständnis für deren Wahrnehmung und Verarbeitung von Fernsehsendungen zu wecken. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand dabei vor allem auch der Gewaltaspekt, der nicht unter einfachen Wirkungskausalitäten gesehen werden kann.

Die Studie macht noch einmal deutlich, daß die Kinder wochentags vor allem zwischen 16 und 21 Uhr vor dem Fernseher sitzen, am Wochenende bereits frühmorgens und teilweise bis in die späte Nacht hinein. Entgegen zahlreicher Vorurteile stellt der Fernseher für die lieben, angeblich alleingelassenen Kleinen keinen Elternersatz dar, sondern die übrige Familie ist mit vor dem Kasten versammelt. Der Samstagabend ist Familien-Fernsehtag [wie grauslig, d. s-in], und die Kinder gucken dann die Sendungen, die zum allgemeinen Vergnügen der Familie beitragen. So ist es denn kein Wunder, daß Wetten daß...? auf der Beliebtheitsskala der Kinder einen oberen Platz einnimmt. Die Wetten stehen für die Kinder im Mittelpunkt, weil sie „spannend“ sind, während sie den Talk mit den prominenten Gästen eher langweilig finden. Unterhaltungsshows haben für die Kinder offenbar sehr viel mit Neugierde und Sensation zu tun, wie die Forscher feststellen.

Action-Serien als Lebenswelten

Sitzen die Kinder alleine vor dem Fernseher, oder haben sie die Verfügungsgewalt über die Fernbedienung, switschen sie in der Regel durch die Programme, um dann bei ihren Lieblingshelden und -serien hängenzubleiben — und die sind vor allem auf den privaten, kommerziellen Kanälen zu bewundern. In der Rangfolge der beliebtesten Sender liegt bei den Hamburger Kindern Tele5 knapp vor RTLplus und Sat1. Abgeschlagen auf den Plätzen folgen ZDF und ARD, auch wenn Alf oder die David-Hasselhoff-Serie Baywatch öffentlich-rechtlicher Senderherkunft sind. Action- und Animationsserien sind aus dem Leben der Kinder kaum noch wegzudenken, die Schlümpfe, Fantastic Max, He-Man, Knight Rider, A- Team oder Batman sind zu Bestandteilen der kindlichen Lebenswelten geworden.

Die Vorlieben der Kinder hängen allerdings nicht nur mit ihren bevorzugten Sehzeiten zusammen, in denen auf fast allen Kanälen Serien laufen, sondern auch damit, daß sie möglichst starke Identifikationsfiguren im Fernsehen suchen, eben Sendungen, „wo ein Held drinne ist“, wie es ein Zwölfjähriger ausdrückt. Die Auswahl geschieht nicht wahllos, sondern die Kinder suchen in den Sendungen vor allem Hilfe und Orientierung beim „Großwerden“. Allerdings werfen die Autoren der Studie den Programmverantwortlichen vor, ein reduziertes Angebot starker Typen zu bieten, das lediglich in der Lage sei, einfache und stereotype Weltbilder zu fördern.

Die Forscher machten sechs „Figurentypen“ aus, mit denen sich die Kinder gern identifizieren. Jungen und Mädchen sind gleichermaßen von den „überlegenen Rettern“, die „stark, edel und gerecht“ sind, fasziniert. Winnetou und Old Shatterhand zählen ebenso dazu wie He-Man, Michael Knight oder B.A. aus dem A-Team. Während erheblich mehr Mädchen Gefallen an den „kindlichen Freunden“ wie Garfield, Samson, Fantastic Max und Alf finden, haben es die „siegreichen Kämpfer“ wie Rocky, Bruce Lee oder Arnold Schwarzenegger besonders den Jungen angetan. Gemeinsam ist beiden Geschlechtern die Vorliebe für die „ewigen Verlierer“ wie Donald Duck oder Zachi Noy, dem Dicken aus der Film-Serie Eis am Stiel. Die Figur des „grausamen Angreifers“ wie Fred Krüger aus Nightmare on Elm Street fanden lediglich zwei Jungen in der Untersuchung besonders faszinierend.

Die individuellen „Gewaltschwellen“

Die Forscher fanden heraus, daß die Kinder eine individuelle „Gewaltschwelle“ haben, die aus ihren alltäglichen, persönlichen Erfahrungen resultiert. Wird diese Schwelle nicht überschritten, haben die Kinder auch keine Probleme, Gewaltdarstellungen sind für sie dann „lustig“ oder eben einfach „Action“. Anders sieht es aus, wenn die individuelle „Gewaltschwelle“ überschritten wird. Dann bekommen es die Kinder mit der Angst zu tun, sie schauen weg, halten sich Hände oder Kissen vor die Augen. Und: Die Szenen bleiben ihnen oft noch lange im Gedächtnis und kehren in ihren Träumen wieder. Die Meinungsforscher haben festgestellt, daß die Kinder die Gewalt vor allem aus der Opferperspektive wahrnehmen, daher empfinden sie auch das Leiden der Opfer. Gewaltdarstellungen mit sichtbaren drastischen Folgen wie blutige Metzeleien änstigen sie daher besonders, ebenso wie Gewalt in mysteriösen Kontexten, die sie sich nicht erklären können, oder wie Gewalt in realitätsnahen Kontexten, die eine besondere Nähe zur Wirklichkeit der Kinder aufweisen.

Die Möglichkeiten der Be- und Verarbeitung

Bei der Vorstellung der Studie in Hamburg trug Bernd Schorb vom JFF in Anwesenheit von zahlreichen Pädagogen und einigen Programmverantwortlichen und -machern noch einmal die aus den Ergebnissen resultierenden Forderungen vor. Die Pädagogen und Eltern forderte Schorb auf, den Kindern mehr Raum zu geben, um ihre Fernseherlebnisse in Gesprächen und Spielen be- und verarbeiten zu können. Dabei sei vor allem das Nachspielen von Szenen aus dem Fernsehen nicht als negative Wirkung zu verstehen, sondern als wichtige Form der Verarbeitung.

Unterstützt wurde er dabei von dem Kasseler Medienpädagogen Ben Bachmair, der einerseits darauf hinwies, daß die Pädagogen versuchen mußten, die Fernseherlebnisse der Kleinen aus der Perspektive der Kinder zu verstehen, ohne sich vorschnell eigenen Urteilen und Vorurteilen hinzugeben; andererseits dürften sich die Pädagogen nicht den gesellschaftliche Realitäten verschließen. Den Kindern müsse die Möglichkeit gegeben werden, ihre Fernseherlebnisse des Wochenendes sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit den Pädagogen bearbeiten zu können. An die Programmverantwortlichen richtete Schorb die Forderung, Rücksicht auf die Sehzeiten der Kinder zu nehmen und sie zu dieser Zeit nicht unnötig mit drastischen Gewaltdarstellungen zu belasten oder mit fragwürdigen Klischees zu bedrängen.

Sowohl Pädagogen wie Programmverantwortliche reagierten auf die Forderungen mit allgemeinen Selbsterkenntnissen nach dem Motto: Wir sind zwar die Übeltäter, aber ganz so schlecht sind wir doch nicht. Während bei den Pädagogen einerseits der Ruf nach mehr medienpädagogischer Fortbildung laut wurde, waren andererseits die Zensur- und Verbotswünsche bei „solchem Schweinkram“ (gemeint war der Spielberg-Klassiker Indiana Jones und der Tempel des Todes) nicht zu überhören. Viele Pädagogen hängen nach wie vor einseitigen Wirkungsmodellen an.

Die Programmverantwortlichen zeigten sich angesichts der zahlreich anwesenden Pädagogen konziliant und gelobten Besserung. Jochen Kröhne, Programmchef von Tele 5, wies darauf hin, daß man sehr wohl eine Auswahl treffe und nicht jede Zeichentrickserie gesendet werde. Andererseits sei auch das Kinderprogramm ganz klar ein kommerzieller Faktor. Aber er versprach in Anbetracht der Kritik am Programm Besserung: „Ich bin für die Abrüstung im Cartoonbereich.“ Rudi Klausnitzer, Programmdirektor bei Premiere, machte für die eigenen Kinderprogramme vor allem Gewalt- und Gewerbefreiheit geltend. Zugleich forderte er nicht nur die Rundfunkanstalten auf, in ihren Programmen der Medienerziehung von Kindern und Erwachsenen mehr Platz einzuräumen, sondern richtete an die Politiker den Appell, die Anstalten darauf zu verpflichten.

Die Diskussion in Hamburg offenbarte vor allem die Hilflosigkeit auf allen Seiten im Umgang mit dem kindlichem Medienkonsum und der Rezeption von Gewaltdarstellungen. Die Pädagogen sind, vor allem aufgrund ihrer mehrheitlich fernsehfeindlichen Einstellung, überfordert. Die Programmanbieter haben andere Probleme. Die öffentlich- rechtlichen Anstalten bieten zwar qualitativ hervorstechende Kinderprogramme an, doch laufen die ungünstigerweise nicht zu den bevorzugten Sehzeiten der Kinder und werden von ihnen als zu langweilig bezeichnet. Für die privaten Anbieter sind auch die Kindersendungen ein Markt, der in einem entsprechenden Werbeumfeld steht, den man sich nicht entgehen lassen kann.

Die Forderung von Schorb, mehr Verantwortung an den Tag zu legen, wird denn wohl kaum auf Resonanz stoßen. Wenn die Anbieter zum Beispiel den Samstagabend tatsächlich als Familienabend ansehen und dabei Rücksicht auf die Vorlieben und Wünsche der Kinder nehmen, werden ihnen sicherlich zahlreiche erwachsene Zuschauer abspringen. Die Verantwortung liegt da wohl eher bei den Eltern, die mit den lieben Kleinen gemeinsam dem Feierabendvergnügen frönen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen