piwik no script img

Der Leidensweg der Zenzl Mühsam

■ Ein kleines Denkmal zu errichten... — Zum Gedenken an die Frau des anarchistischen Dichters

Vor dreißig Jahren, am 10. März 1962, starb sie in Ost- Berlin — fast unbeachtet: Kreszenzia Mühsam, geb. Elfinger. Unbeachtet und vergessen — dabei ist ihr Leben einer Betrachtung wert.

Als junges Mädchen hat es sie nach München verschlagen, wo sie einen Schriftsteller traf — seiner Herkunft nach Jude: Erich Mühsam. Sie heirateten 1915 und hatten — bis zu seiner Ermordung im KZ Oranienburg 1934 — ein bewegtes politisches und literarisches Leben.

Die zwanzig Jahre ihres gemeinsamen Weges — unterbrochen durch Erichs Inhaftierungen in drei politischen Systemen — forderten von Zenzl härteste Bewährung an der Seite des anarchistischen Revolutionärs: einem Mann, den die bürgerlichen Zeitungen und Zeitschriften boykottierten und verleumdeten, der als Kriegsgegner in Traunstein zwangsverwahrt wurde, der beim Münchner Munitionsarbeiterstreik 1918 als Redner auftrat, der 1918 — an der Seite seiner Frau — vor den Münchner Kasernen als erster die Revolution ausrief, der die Wochen der Räterepublik durchkämpfte und der verhaftet wurde, während die »Brigade Ehrhardt« ihrer beider Wohnungen verwüstete.

Kampf ums Überleben in den Jahren von Erichs Festungshaft — und dennoch Bereitschaft zur »Hungerhilfe« für die Sowjetunion 1921: »... Ich übernahm die Leitung dieser Nähstube und saß wie alle anderen von morgens bis abends über der Nähmaschine... Ich war stolz, als ich meinem Mann und einem Kameraden bei einem Besuch in der Festungsanstalt Niederschönenfeld über unsere großen Erfolge berichten konnte...«

Nach der Haftentlassung Mühsams 1924 Fortsetzung des politischen Kampfes in Berlin, wo sie um den »Bredelhupfer« — wie sie ihn scherzhaft nannte — fürchten mußte, wenn er als Redner auf der »falschen« Veranstaltung oft genug mit knapper Not davonkam.

Erich las Zenzl seine literarischen Arbeiten vor und nahm die Kritik der »einfachen Frau« — die fast den ganzen Faust und Teile des Don Quichotte auswendig wußte — sehr ernst.

Dann der Anbruch der Nazidiktatur: Mühsams erneute Verhaftung, der Weg durch die Lager, die Mißhandlungen — schließlich der Tod. Nach der Beerdigung des Ermordeten auf dem Dahlemer Waldfriedhof sollte Zenzl verhaftet werden.

»...Es blieb mir nichts übrig, als in die Emigration nach Prag zu gehen. Dort erhielt ich die Aufforderung, vor den Journalisten aus aller Welt zu sprechen. Ich erzählte das ganze Martyrium, das Erich und viele seiner Kameraden durchleiden mußten. ... Wir wollten an das Gewissen der Menschheit appellieren. So entstand schließlich die Broschüre Der Leidensweg Erich Mühsams...«

Als Naziminister Frick Zenzls Darstellung ein »Lügenmärchen« nannte, stellte sie ihm in einem »offenen Brief« zwölf Fragen und konstatierte: »Sie mögen hundertmal aus schlechtem Gewissen die Wahrheit Lüge nennen. Um das Urteil der Welt ist mir nicht bange.« Auf Anraten Wilhelm Piecks — aber entgegen Mühsams Warnung vor Stalin — emigrierte Zenzl in die Sowjetunion und rettete wichtige Arbeiten ihres Mannes — unter anderem die Tagebücher — vor dem Zugriff der Nazis.

Anfangs durfte sie in der Sowjetunion reisen und reden. Sie erfuhr nun ihrerseits die Solidarität russischer Menschen, deren Hilfe für deutsche Emigranten sie erbat. »... Und als ich am nächsten Morgen wieder in den Konferenzsaal kam, lagen dort schon Berge von Kindermäntelchen aus Pelz für jedes Alter, Trikotunterwäsche, Filzstiefelchen ..., und das alles zu einer Zeit, in der die russischen Menschen selbst noch auf vieles Notwendige verzichten mußten...«

Im November 1934 wurde sie erstmals verhaftet — wegen anarchistischer Freunde im Ausland, wegen eines Neffen, der, ebenfalls verhaftet, nie wieder auftauchte? Die deutsche Emigrantin Dagmar Horstmann, deren Mann als Rechtsanwalt Hitler-Gegner verteidigt hatte, lernte Zenzl Mühsam nach deren Entlassung aus der ersten Haft im Hause des ZK »Mopr« kennen und war mit ihr bis zu Zenzls Tod befreundet. Die Gemaßregelte war dankbar dafür, daß sie von den Horstmanns nicht gemieden wurde wie von den anderen »Genossen«. Die fragten jeden »Entlassenen« in den Gängen des Hauses: »Amnestiert? Rehabilitiert?« Je nach der Antwort richteten sie ihr Verhalten zu dem Neuankömmling ein.

Im Februar 1938 fiel auch Dagmar Horstmanns Lebensgefährte einer Verhaftungswelle zum Opfer. Er kam — wie sie viel später durch eine verschlüsselte Nachricht erfuhr — in der »Taganka« um. Jetzt galt sie selbst als vogelfrei. Zenzl verteidigte sie gegen eine bulgarische »Genossin«, die ihr eines der wenigen Möbelstücke wegnehmen wollte.

Im Herbst 1938 erfolgte Zenzls zweite Verhaftung. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt sollte sie zusammen mit der Schauspielerin Carola Neher nach Deutschland ausgeliefert werden. Sie kamen — wie Carola Neher formulierte — in eine »Fettlebezelle«, um bei der Überstellung nicht so abgezehrt zu erscheinen. Beide Frauen aber weigerten sich standhaft gegen eine Abschiebung »vom Regen in die Traufe«. Carola Neher beging schließlich Selbstmord.

1947 traf Dagmar Horstmann, die den Krieg nur mit Hilfe russischer Menschen überstanden hatte, Zenzl Mühsam im Heim für ausländische Kinder Iwanowo wieder. Zenzl verdiente ihren Unterhalt mit Näharbeiten und gab als »Kastellanin« Wäsche aus. 1948 schrieb eine ungarische Freundin der nach Berlin zurückgekehrten Frau Horstmann, daß Zenzl erneut verhaftet worden sei.

Erst 1953, nach dem Tode Stalins, kam Zenzl auf grotesk-zufällige Weise nach Berlin zurück. Sie war aus einem Lager in Nowosibirsk einfach auf die Straße gesetzt worden, wo sie, verlaust und verdreckt, immer wieder die wenigen russischen Worte vor sich hinsprach, die ihr geläufig waren: »Arrestutje Mje!« — »Verhaftet mich!« Sie traf einen Offizier, dem der Name Erich Mühsam geläufig war. Er ging mit der Witwe nach Moskau. Über Moskau kam sie schließlich nach Berlin zurück, traute sich aber nicht mehr allein auf die Straße.

Ihr Leidensweg war aber auch in der DDR nicht vorbei: Johannes R. Becher, der seinerzeit dem toten Revolutionär versprochen hatte: »... Wir werden alle rächen, Erich, auch Dich!, auch Dich«, rächte sich statt dessen am Andenken seiner einstigen Weggefährtin, dessen Tagebuchaufzeichnungen aus der Münchner Zeit er offenbar fürchtete.

Die Schriftstellerin Cläre Jung, die Schauspielerin Elsbeth Bruck und die Sprachlehrerin Dagmar Horstmann warben für den offiziell verpönten »Abweichler«, indem sie in den Buchhandlungen nach seinen Büchern fragten. Elsbeth Bruck veranstaltete zudem Mühsam-Lesungen. Als der Genosse Kulturminister davon erfuhr, bekam er einen Tobsuchtsanfall; und als im Verlag »Volk und Welt« die erste Mühsam- Sammlung erschien, soll Becher dort gegen den »Mühsamismus« gewettert und die Vernichtung der Druckvorlagen durchgesetzt haben.

(»War wohl je ein Dichter frecher

als der Dichter J. R. Becher?«

Erich Mühsam)

Zenzl hat diese postume Diskriminierung ihres Mannes im vierten deutschen Gesellschaftssystem auch noch ertragen müssen. — Sie gehört zu den stillen Heldinnen des Alltags, denen nie ein Denkmal gesetzt wird, die damit aber auch nicht Gefahr laufen, von einem Sockel gestürzt zu werden. Wolfgang Teichmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen