Kunstauktion mit Behinderung

■ Benefizkonzert mit Ludwig Güttler und anschließender Versteigerung im Schauspielhaus

In der DDR unterschied man zwei Sorten Behinderte: förderfähige und förderunfähige. Dieses simple Schema war ausschlaggebend für die Zuweisung in Heime und Werkstätten — legte also den Werdegang von Menschen bis in weite Zukunft fest. Seit der Wende residiert der Verein »Sonnenuhr e.V.« in der Kulturbrauerei an der Schönhauser Allee. Aus einer privaten Initiative von Künstlern und betroffenen Eltern hervorgegangen, werden hier den Behinderten mehr Bedürfnisse zugestanden, als ordentlich verwaltet und beschäftigt zu sein. In Werkstätten und Ateliers lernen sie malen, bildhauern oder Theaterspielen. Mit dem Wort »behindert« haben die Leute von Sonnenuhr ihre Schwierigkeiten. Laut Klaus Erforth, künstlerischer Direktor des Vereins und selber Vater eines mongoloiden Kindes, ist das eine recht willkürliche Definition eines Zustandes von Andersartigkeit, aus dem sehr subjektivem Blickwinkel einer vorwiegend am Intellekt orientierten Gesellschaft gesehen.

Diese andersartigen Menschen haben übrigens auch ein Bedürfnis nach Kommunikation. Und um solch eine Stätte der Begegnung, ein Café, aufzubauen, hat Klaus Erforth Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, hat Künstler und Galeristen aus ganz Deutschland und darüber hinaus mobilisiert. 116 Einzelstücke hat er für eine wohltätige Versteigerung zusammengetragen — Grafiken, Siebdrucke, Gemälde und Kleinplastiken. Eine beachtliche Ausbeute. Künstler wie Penck, Opitz, Grass und Quevedo haben dem Verein Objekte gespendet.

Eine weihevolle Atmosphäre liegt an diesem Palmsonntag in der Luft des wohl schönsten Konzertsaals Berlins im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Fürstliche Kronleuchter hängen schwer von der reichverzierten Decke, darunter sich das Volk im Sonntagsstaat auf samtbezogenen Stühlen drängt, die Garde der Väter deutscher Musik blickt bedeutungsschwanger von den Wänden, und eine große Orgel füllt mit ihren silbernen Pfeifen die Stirnwand des Raumes. Heute gehört der Saal ganz der Blechblasmusik. Vierzehn Trompeten, Tuben, Hörner und Posaunen recken dem Publikum ihre goldenen Münder entgegen, und die Bläser vom Posaunenchor der Stephanus Stiftung aus Berlin Weißensee — darunter fünf Behinderte — würzen diesen Anblick mit zarten Klängen aus Blech. Kirchliches und Christliches ist da vor allem zu hören und die scheuen Ansagen von Chorleiter Ottfried Gabriel sind voll frommer Bescheidenheit. »Er freue sich, wenn die (behinderten) Musiker im richtigen Moment den richtigen Drücker erwischen« tiefstapelt er, denn schiefe Klänge sind in diesem Konzert nicht zu hören.

Hernach betritt der Große aus der Blechbranche, der Trompeter Ludwig Güttler, in Begleitung des Organisten Friedrich Kircheis die Empore über der Bühne, zückt seine Piccolotrompete und schmettert seine hohen Weisen in die Weite des Prunksaales, daß den Zuschauern das Herz weit wird und die Putten zu fliegen anheben. Verbeugung im Anzug hinter dem modernen Eisengatter, das so gar nicht in das klassizistische Ambiente passen will, wohl aber baupolizeilichen Bestimmungen Genüge tut, dann ist wieder das Blasorchester an der Reihe. Zum Ausklang des ersten Teils begibt sich der Maestro auf die Bühne herab, um seine zierliche Trompete zum guten Zwecke an zahlungskräftige Zuschauerhände zu überreichen. »Nicht etwas geben, das man ohnehin im Überfluß hat, sondern etwas ganz Spezielles« lautet sein Gebot der Nächstenliebe. Dennoch mag sich keiner so recht für dieses Instrument entscheiden, das dem Meister bei 850 Oratorien und 2.000 Solokonzerten treu zur Seite stand.

Peinlich berührt steckt man die Wohltäterköpfe zusammen, ein Raunen geht durch den Saal. Schließlich findet sich doch ein einsamer Anbieter, der mit 4.500 DM die Ehre Berlins rettet, und man hastet eilig in die Pause. Das läßt nichts Gutes für die anschließende Kunstauktion erwarten.

Und richtig: nach weiteren Einlagen des Blasensembles, nach ausgedehntem Applaus und einer roten Rose für jeden Musiker, läuft die Versteigerung recht zäh an. Der Saal ist merklich gelichtet und erst beim fünften Bild hebt überhaupt einer den Finger. Leider wird es in dem Stil weitergehen und das, obwohl sich der Künstler Gottfried Bräunlich, selbst mit mehreren Werken im Rennen, als Auktionär redlich Mühe gibt. Erste Anflüge von Spendierfreude belohnt er mit einem Gläschen Wein — »damit es uns ein bißchen leichter fällt«, und von Zeit zu Zeit erläßt er dezente Mahnungen ans Publikum — »wir sitzen hier schließlich nicht zu unserem Privatvergnügen«.

Gnadenlos überträgt das Mikro in der Anzugtasche jedes gesprochene Wort, und so bleibt auch sein Zorn auf die »Fräuleins« nicht unbemerkt: wenn die nicht gerade mit unbewegter Mine eines der Werke dem werten Publikum präsentieren, bringen sie im Hintergrund schon wieder die Bilder durcheinander. Angesichts der enttäuschenden Verkäufe hält er dennoch recht wacker die Fahne hoch.

»Sag mir, wo die Reichen sind« — im Konzertsaal des Schauspielhauses saßen sie an diesem Sonntag jedenfalls nicht. Bilanz der Versteigerung: weit über die Hälfte der Werke haben den Besitzer nicht gewechselt. Wer also noch Interesse hat, Sonnenuhr zu unterstützen, indem er Werke namhafter Künstler zu stark reduzierten Preisen ersteht (sämtliche Werke wurden zur Hälfte ihres Galeriepreises in die Versteigerung gebracht), melde sich unter 2828908 bei Klaus Erforth. Jantje Hannover