Macht Wiedersehen Freude?
Alte Folgen „Praxis Bülowbogen“ sollen ARD-Einschaltquoten retten ■ Von Arne Fohlin
Sieben Wochen dauert nun schon der Entzug, heute abend — zwischen Nachmittagsprogramm und Tagesschau — wird der Qual ein Ende gesetzt: Die Praxis Bülowbogen hat wieder Sprechstunde. Ursprünglich sollte die „Romanze in Mull“ erst im Frühjahr 1993 mit den Folgen 61 bis 74 weitergehen. Doch die Zuschauer konnten sich mit dem Nachfolgeplot namens Das Nest nur wenig anfreunden, die Einschaltquoten, die moderne statistische Geißel von zum Erfolg verdammten Programmplanern, bewiesen es. So zogen die ARD-Verantwortlichen die Serie über die Problemchen einer Wohngemeinschaft ebenso schnell wieder aus dem Programm wie Jolly Joker oder Die unschlagbaren Zwei: „Unsere Programmacher haben sich vorgenommen“, erklärte Buchard Röver von der ARD-Pressestelle in München, „auf bestimmte Entwicklungen schneller und sensibler zu reagieren.“
Denn die Konkurrenz der privaten TV-Anstalten sitzt der ARD und dem ZDF derart im Nacken, daß die ARD in einer Kurzfristaktion die allseits beliebten Berliner Kiezgeschichten mit ihrem Star Günter Pfitzmann als Dr. Brockmann aus dem Archiv pulte, um nicht vollends Publikum und damit Werbeeinnahmen zu verlieren. Vorgesehen sind von heute abend an die Wiederholung der ersten 20 Folgen. Zur Einführung: Günter Pfitzmann spielt den Wald- und Wiesen-, pardon: Asphalt- und Benzinpestdoktor Brockmann, ein väterlicher Berater in allen Lebenslagen, ein Mann von durchaus graumeliertem Charme, kurz: der gute Mensch von Kreuzberg.
Denn angesiedelt ist das Familiendrama, in dem Anita Kupsch, Dieter- Thomas Heck und Eleonore Weisgerber ebenso feste Chargen abgeben wie andere TV-Lieblinge in Gastrollen, in Berlin, mitten auf dem Kiez, jedenfalls dort, wo der gewöhnliche BRD-Bürger außerhalb der Hauptstadt das sogenannte Milljö ansässig glaubt. Praxis Bülowbogen gehört zur Spezies der sozialdemokratisch gestrickten Familienserien, eine Volksoper ohne Musik. Weder Designerwohnungen, Kaschmirpullis, noch Kaviarhäppchen spielen hier bedeutsame Rollen. Hier geht's vielmehr um Allzuweltliches, Folge für Folge ein Problemhäppchen aus der Welt des entspannten Gemeinschaftskundelehrers: Wiedervereinigung, Ausländer, Punks, Einsamkeit im Alter...
Dr. Brockmann ist der Major domus, der Bert dieser Sesamstraße für Erwachsene — und Cornelia Froboess die Ernie, die kongenile Ergänzung. Denn Dr. Brockmann, schon völlig angenervt durch seine häufig wechselnden Partnerinnen, zermürbt fast von den Intrigen in seiner Familie, die er in den ersten 50 Folgen hat erdulden und schlichten müssen, lernt die flotte Apothekerin kennen — woraufhin Cornelia Froboess jede Chance erhält, zu beweisen, daß sie auch in populären Fernsehserien als gereifte Schauspielerin am richtigen Platze ist.
Die letzte Folge, die vor sieben Wochen lief, endete damit, daß Pfitzmann und die Froboess zur Heirat bereit waren, allerdings sich nicht auf einen Termin einigen können. Man versteht als beziehungsgestreßter TV-Konsument sofort: Gebrannte Kinder scheuen das Feuer, was ins Alternativdeutsch übersetzt hieße: Du, echt, Deine Nähe muß ich erstmal zulassen können, Du... Die Programmverantwortlichen bei der ARD verraten immerhin soviel, daß Cornelia Froboess nicht einfach Dr. Brockmann heiraten wolle, schließlich täte sie das an die Serie binden, was nun wiederum sie als Schauspielerin im Charakterfach nicht wolle.
„Und wenn die erstmal verheiratet wären“, erklärt Burchard Röver von der ARD, „und dann hätte die Froboess keine Lust mehr, müßte die ja irgendwie umkommen, mit dem Auto oder so.“
Doch so tragisch wird niemand aus der Sprechstunde des Dr. Brockmann entlassen. Und sowieso, plaudert Röver, der den Inhalt der Folgen des kommenden Jahres schon kennt, „geht es vorläufig öfter um soziale Konflikte“, weniger also um menschliche Schicksale wie das des Dr. Brockmann. Dieses Spiel birgt freilich ein Risiko: Zuviel Problem ließe womöglich Wünsche nach dem profaner gestrickten Nest wieder aufkeimen. Aber da kennt die ARD bekanntlich inzwischen überhaupt keine Skrupel mehr: Zur Not, so ein Experte, werden die Serien alle drei Wochen ausgetauscht.