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Vorwurfsvoll

■ „Asyl“ — ein Stück von Bettina Fless im Theater im Marstall in München uraufgeführt

Bahnhöfe sind schmutzig, Asylbewerberheime auch. Aufenthaltsorte für Außenseiter der Gesellschaft. Ihnen hat Bettina Fless ihr Stück gewidmet:Asyl, das vergangene Woche im Münchner Theater im Marstall uraufgeführt wurde.

Daß das Thema Asyl ein nur allzu weites Feld ist, wird dem Zuschauer bald deutlich. Er erfährt, was er immer schon über Deutschland wissen wollte: Daß die Wirtschaftswundergeneration aus verhinderten Nazis besteht, daß Bankiers dick und rosig sind, ihre Angestellten schikanieren und dümmlich-blonde Frauen haben, daß der Westdeutsche, wenn es denn unbedingt sein muß, lieber mit seinen ungeliebten Brüdern und Schwestern aus Ostdeutschland den Wohlstandskuchen teilt als mit irgendwelchen Ausländern, nicht zu vergessen, daß deutsche Frauen in Ost und West Neger begehren, weil sie die reinsten Potenzwunder sind. Keinen noch so abgegriffenen Allgemeinplatz scheut Bettina Fless, die übersatte Wohlstandsgesellschaft auf die Asylbewerberproblematik aufmerksam zu machen; Ekel pur löst sich mit kaltem Grauen an, Lachen, Lächeln oder auch nur leisestes Kichern sind nicht getattet. Kein Hauch von Kunst, von hehrer Abstraktion; die Autorin, die mit ihrem Erstlingswerk Memmingen vor zwei Jahren Furore machte, will gnadenlos „dokumentieren“. Regisseur Edwin Noäl sucht mit mäßigenden Kürzungen Ärgstes zu verhindern. So braucht das Publikum nicht mehr zu erfahren, daß Boris Becker der ideale Hitlerjunge gewesen wäre.

Ein Bahnhof in Deutschland. Knut Hetzer (Bühne und Kostüme) hat ausrangiertes Bundesbahnmobiliar eingesetzt, von den Schließfachkästen hin zum original DB-Abfalleimer samt einer Ladung ersten Bahnhofsdrecks. Fehlte nur noch die Originalmischung aus Urin- und süßlichem Pennergeruch, die Bahnhofsatmosphäre wäre vollkommen. „Menschenskind, ich bin in Sicherheit“, Ajagunla (Ellis Ben Smith), Flüchtling aus Ghana, betritt den Schauplatz. Er bleibt inmitten der Schließfächer sitzen, harrt dessen, was da kommen mag. Monologisierend lastet er Gewalt, Korruption und Ausbeutung in der Dritten Welt der Weltwirtschaft an. Wartet. Nach und nach präsentiert sich dem Ankömmling ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt des wiedervereinigten Deutschlands, das er um Asyl ersuchen möchte. Dagegen erweist sich Gorkis Nachtasyl als katholisches Mädchenpensionat.

Gerd, der Arbeiter aus West (Wilhelm Beck) und sein Freund Alfred, Beamter aus Ost (Achim Barrenstein), schlagen den freundlich herumsitzenden Afrikaner erst einmal zusammen. Dann sind da die Obdachlosen, die die Schließfächer bewohnen: Alkohol-Rosi (perfekt versoffen: Gabriele Köstler), die sich lange nicht im Spiegel betrachtet zu haben scheint, wenn sie lauthals ihre Angst kundtut, Ajagunla könne sie vergewaltigen; ihre Freunde Nazi- Klaus (Michael Vogtmann), Dichter-Martin (Andreas Wimberger), ein Beau in einem Kamelhaarmantel, und Elisabeth, Studentin der Geisteswissenschaften Ost (Katja Amberger) mit Selbstmordabsichten. Ein Bankerehepaar (Karheinz Vietsch und Esther Hausmann) will mit einem „dokumentarreifen“ Picknick am Hauptbahnhof der Langeweile eines rotarischen Abends entfliehen. Penner und Banker, Ost und West verbinden sich gegen Ajagunla, diesen schwarzen Störenfried deutschen Wohllebens. Er wird zum Objekt ihrer Aggressionen.

Leider bleibt dieser erste Akt ein Rundumschlag. Ein langer Blick in den Abgrund menschlicher Widerwärtigkeiten. Das Radfahrer-Syndrom — nach oben buckeln, nach unten treten — war auch vor Bettina Fless schon hinreichend bekannt; das Phänomen Fremdenhaß läßt sich damit nur bedingt erklären. Es gelingt der Autorin auch nicht, den ewigen Nazi, den sie im deutschen Fremdenhaß wähnt, plausibel zu machen. Was bleibt, ist Vorwurf.

Der zweite Akt steht für sich. Ajagunla aus Ghana lebt inzwischen in einem Asylbewerberheim, zusammen mit zwei weiteren Schwarzen, die mit ihm nicht mehr als die Hautfarbe gemein haben. Zwei Jahre des Wartens haben ihn zermürbt, die Geister seiner Heimat rauben ihm den Schlaf, das Schicksal seiner Verwandten läßt ihm keine Ruhe. Die Behörden sind unfähig, auf die Einzelschicksale einzugehen. Sein Mitbewohner Tolu (Daniel Said) hat sich den Gegebenheiten angepaßt und mimt auf amerikanischen GI — darauf stehen nämlich die deutschen Frauen. Olajide, der Medizinmann (John Were), der nichts mehr verlieren kann, da er bereits alles verloren hat, hofft längst nicht mehr auf Gerechtigkeit. Den Alltag der drei Asylbewerber schildernd, erhalten die Figuren erstmals menschliche Züge, überkommen die Schablonenhaftigkeit, die Bettina Fless ihren Figuren im ersten Akt gegeben hat.

Bleibt die Figur des passiv verhaltenen Ajagunla im ersten Teil ohne Konturen, sind die drei Hauptfiguren des zweiten Aktes um so lebendiger. Der Zauber, der von der Szene im Asylbewerberheim ausgeht, wird allerdings sofort wieder zerstört, als mit erhobenem Zeigefinger neue Klischee-Deutsche auftauchen: der vorurteilsbeladen-herablassende Beamte aus Zirndorf (Raidar Müller- Elmau im langen Ledermantel) und seine negergeile Assistentin (Brigitte Horn). Vor so viel deutscher Großmannssucht verfällt Ajagunla wieder in die Rolle des passiven Opferlamms. Die Brandbombe fliegt, das Asyl geht in Flammen auf, und der Mann aus Ghana muß seinen unerhörten Antrag mit dem Leben bezahlen. Lilli Thurn und Taxis

Bettina Fless: Asyl. Regie: Edwin Noäl, Bühne und Kostüme: Knut Hetzer. Mit Gabriele Köstler, Katja Amberger, Ellis Ben Smith, Onundu John Were, Said Daniel, Michael Vogtmann, Andreas Wimberger u.a.. München, Marstall-Theater. Nächste Aufführungen: 9., 10. und 11.Mai.

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