: Mengenlehre
Das 7. Black International Cinema in Berlin ■ Von Mariam Niroumand
Während in Los Angeles noch Scherbengericht gehalten wurde, fand in Berlin ein Filmfestival statt, das, von den riots seltsam unberührt, um den Satz kreiste: „Black is not a color, it's an attitude.“ Welche Haltung damit gemeint ist und von welcher Position aus, von welchem Kontinent und welchem Geschlecht sie repräsentiert wird, darüber suchten 48 Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilme und Videos höchst unterschiedliche Antworten zu geben. Der Großteil der Filme stammte aus den USA und von afrikanischen oder pakistanischen Immigranten in England; auch Filme aus der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern waren dabei.
Von der dicken Mama in Gone With the Wind (Vom Winde verweht, 1939) über den introspektiven, gebildeten, urbanen Noble Negro Sidney Poitiers bis hin zum aggressiven, zynischen streetwise Ghetto-B-Boy Ice Cube, einer typischen Figur der aktuellen homeboy-Filme: Auch wer nur selten Filme mit schwarzen Amerikanern gesehen hat, kann daran ermessen, wie weit der zurückgelegte Weg ist. Und die Körperkontrollen in den Kinos von Los Angeles, die New Jack City (1991) zeigen wollten, sowie die Schlägereien nach Boyz n'the Hood (1991) zeigen, daß da nicht bloß ein Schattenboxen stattfindet.
Das Black International Cinema im Berliner Arsenal-Kino hatte deshalb zwei Filme ausgewählt, die die Entwicklung der Leinwand- und TV- Images von Schwarzen in den amerikanischen Medien nachzeichnen. „Unser Millenium ist da“, sagt der Kulturkritiker Henry Louis Gates, „wenn das Bild vom kultivierten afroamerikanischen Arzt und seiner Frau, die Teilhaberin einer Rechtsanwaltsfirma an der Wallstreet ist, zur prime time in alle amerikanischen Haushalte ausgestrahlt wird. Dann ist unser Volk frei.“ Marton Riggs' Color Adjustment (1991), aus dem dieses assimilationistische Credo stammt, ist der Versuch, die Geschichte der amerikanischen Schwarzen durch die Jahrzennte nachzuzeichnen, verbindet Clips von der Amos and Andy-Show, bei der zwei glubschäugige Faulpelze durchs Leben der frühen fünfziger Jahre tölpeln, mit der Bill Crosby Show, die zum ersten Mal eine sophisticated Black persona zeigt. Die Kluft zwischen den friedlichen Fernsehfamilien und den brutalen Schlägereien auf den Straßen des Civil Rights Movement wird durch die Zwischenmontage von Nachrichtenaufnahmen aus der Zeit kontrastiert. In den Siebzigern entstanden dann die sitcoms (Situationskomödien), die im Ghetto spielten und dessen Armut und Enge romantisierten.
Überraschend an Color Adjustment ist sein eindeutiges, unkritisches Credo für die Kernfamilie, und das von einem Filmemacher, der vor kurzem noch mit dem ersten sexuell expliziten Film über schwule Schwarze in New York (Tongues Untied) Furore gemacht hat. (Diesen Film nach Deutschland zu holen, wäre eine echte Pionierleistung gewesen.)
Impotente Sklaven
Wohl für keine andere ethnische Minderheit der USA ist die Sexualität so ein zentraler Topos der (Selbst- )Darstellung wie für die Schwarzen. Während im ganz frühen amerikanischen Kino der vergewaltigende, grausame Black Buck in den Südstaaten der „reconstruction“ nach dem Bürgerkrieg sein Unwesen trieb (D.W. Griffiths Nationalepos Birth of a Nation war dabei tonangebend), gab es bis zu den siebziger Jahren fast überhaupt keine potenten Schwarzen in Hollywood. Neben der weißen Angst vorm schwarzen Mann hing das auch mit der puritanischen Haltung der schwarzen Methodisten und Baptisten zusammen). Archetyp des Kastrierten war der Schauspieler Stepin Fetchit, ein dünner, haltloser, plappernder Schwächling, der von dicken herrschsüchtigen Mammas herumkommandiert wurde. Eine Produzentin aus New York wies darauf hin, daß heute die Schwulen die Stepin Fetchits des Hollywood-Kinos sind.
A Passion for Justice (1989) von dem bekannten Dokumentaristen William Greaves erinnert an die vielen Lynchmorde, bei denen den Opfern der Penis abgeschnitten wurde, weil sie angeblich eine weiße Frau vergewaltigt hatten. Auch an den heftigen Reaktionen auf Spike Lee's Jungle Fever (1991), der gescheiterten Liebesgeschichte zwischen einem schwarzen Architekten und seiner weißen Sekretärin, konnte man noch einmal sehen, wie bedrohlich der schwarze Schwanz noch immer ins weiße Schlafzimmer ragt. In Baldwin's Nigger (1969) hört man den poet laureate der Bürgerrechtsbewegung über den weiten Weg vom Kopf zum Unterleib und zurück sprechen. Wie es dem mit seiner schwulen Identität wohl unter den Machos von Public Enemy ergehen würde? Die feindlichen Reaktionen, die Paris Is Burning (1991), ein Film über schwarze Transvestiten, aus dem schwarzen Publikum erhielt, hängen sicher nicht nur damit zusammen, daß „diese Leute weiß sein wollen“, wie mir der Filmemacher Stanley Nelson sagte.
Parallel zum Aufstieg vom impotenten Sklaven, dem nichts mehr am Herzen liegt als das Wohl seines weißen Massa (das demütigendste Bild dieser Beziehung ist sicher, wie der Tänzer Bojangles vor der zehnjährigen Shirley Temple schwitzt), findet die Abwanderung vom Land in die Ghettos der Städte statt. Der Dokumentarfilm Roots of Resistance (1990) zeigt die Fluchtwege der Sklaven durch die Sümpfe in South Carolina über die magische Mason- Dixon-Flußlinie, über der die Verfassung der Nordstaaten Sklaverei verbot. Man versteht, warum der olle Derrida bei seiner Analyse des Wortes Apartheid so auf den geographischen Implikationen des Wortes insistierte. Solange der Film noch die Somerset-Plantage zeigt, sind die Kamerabewegungen ruhig und eingeschränkt; eine „geschlossene Welt war das damals“, erklärt die Nachfahrin der Besitzer. Eine Handkamera führt dann durch die Zypressen, Schlingpflanzen und über modriges Gewässer, in dem heute noch manchmal die Ketten der Sklaven gefunden werden, denen die Flucht nicht gelungen war und von Hunden, Geiern oder dem Hunger besiegt wurden. Dann, endlich im Norden Kentuckys, fährt die Kamera frei und ausschweifend über Straßen und Wälder, in Kellergebäude, in denen die Flüchtenden Unterschlupf fanden. In den Ghettofilmen der Neunziger sieht man noch immer diese Kamerafahrten, heute meist aus einem Auto heraus, die aber an den Graffiti- Mauern enden.
Der schöne Wilde
Der Bezug auf die Sklaverei als verbindender Ursprung der Black Community hielt während der frühen Soul-Blues-Bürgerrechtsbewegung an, aber schon den Black Panthers reichte diese Negativbestimmung nicht mehr. Die Sklavenidentität, nicht lesen und schreiben zu können, was auch heißt, keine Geschichte zu haben, weicht der Rückbesinnung auf eine idealisierte afrikanische Vergangenheit. Sich diese Geschichte zu erobern, war ein Hauptanliegen solcher Filme wie Black History: Lost, Stolen or Strayed (1969). Der Film stößt auf „unsere Geschichte vor der Sklaverei, wo wir mehr als nur Rhythmus hatten“. Prompt wird zur Erhöhung afrikanischer Kultur angeführt, daß Picasso, Braque und Klee für viele Gemälde afrikanische Vorbilder hatten. In der Tat ist der Primitivismus (im Postkolonialismus besser „Afrikanismus“ genannt) von Picassos Demoiselles d'Avignon dem Afrikabild der schwarzen Amerikaner sehr nahe. Tänze, Haarmoden, Farben und Rhythmen haben längst Eingang in die Alltagskultur gefunden und demonstrieren das Rousseausche Bild vom schönen Wilden. Was in der amerikanischen Tradition einst das Verhältnis von Lederstrumpf zu Chingachgook oder von Tom Sawyer zu Huck Finn war, reproduziert sich heute im Verhältnis des Boha, des schwarzen Bohemien aus dem East Village, zu seinem Bruder aus Kenia. Städtische Alkoholier auf den Parkbänken von Nairobi kommen in diesem Bild nicht vor.
Die Bezugnahme auf Afrika, der „schwarze Zionismus“, markiert die Wende während der Reagan-Ära von der Insistenz auf Gleichheit zu der Betonung von Differenz — eine vom französischen Post-Strukturalismus beeinflußte Wende, die auch die Frauenbewegung mitgemacht hat. In den Neunzigern nahm das eigentümliche Formen an: Es gibt in den großen amerikanischen Städten eine schmale Schicht von Buppies (schwarzen Juppies), die teuer afrikanisch kochen, Karriere anstreben und einen urbanen Nihilismus pflegen (wie eben jener Wesley Snipes aus Jungle Fever). Wen wundert es da, daß die Proteste in Los Angeles so viel „unpolitischer“ und unorganisierter waren als die 1965 in Watts?
Auffällig häufig kam in den Filmen des Black Cinema das Verhältnis zwischen Juden und Schwarzen zur Sprache. Neben der Vorstellung von Afrika als dem gelobten Land ist die von der Sklaverei und dem Kolonialismus als dem Holocaust der Schwarzen gültig. Mehrere der ersten Hollywood-Filme, die Schwarze als ernstzunehmende Personen zeigten, waren von Juden produziert oder geschrieben, besonders die Harlem-Filme der dreißiger und vierziger jahre wie Edgar G. Ulmers Moon over Harlem oder Arthur Dreyfuss' Murder on Lennox Avenue, aus denen Ausschnitte in dem Kompilationsfilm Black Films from the Past gezeigt wurden. Daß diese Koalition, die ihren Höhepunkt in der Bürgerrechtsbewegung fand, spätestens unter Bush zerbrochen ist, zeigt Jews and Blacks. Der Film entstand unmittelbar in den Tagen nach dem Autounfall in Brooklyn, wo im September vergangenen Jahres zwei schwarze Kinder von einem hasidischen Juden überfahren worden waren. Daraufhin brannten in Crown
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Heights die Autos und flogen die Steine.
Immigrantenkino
Der marginalisierte Zustand des afrikanischen Kinos zeigt sich schon daran, daß die meisten Filme von afrikanischen Immigranten in England stammten, die die Erfahrung des Exils beschreiben (Blue Notes, Exiled Voices). Frank Ukadike, ein aus Nigeria stammender Professor for Afroamerican Studies in Michigan, erläuterte, daß das Problem des afrikanischen Kinos unter anderen sein später Start war: Mit der Unabhängigkeit kamen zunächst didaktische Filme von den ehemaligen Kolonisatoren, die das Volk lehren sollten, wie man zivilisiert lebt. „Die meisten Dinge, die Europäer von Afrikanern wissen, stammen entweder aus Hollywood-Filmen oder ethnographischen Filmen. Ich verurteile nicht das ganze Genre des ethnographischen Films, es gibt gute Beispiele darunter, gerade von Amateuren. Aber häufig wird eben die afrikanische Realität fragmentiert und verzerrt dadurch, daß die Filmemacher immer nur nach den gleichen Bildern suchen. Man sieht die Leute in Dörfern oder im Busch, als seien sie vom Himmel gefallen. Wo kommen sie her? Man sieht nie Entwicklungen. Die Filmemacher suchen Nackte, mit hängenden Brüsten und Nasenringen. Dabei kann man bei uns ganz oft Sachen sehen, die aus New York City stammen könnten, ein Besoffener im Zug in Mali zum Beispiel.“
Einige der schönsten und witzigsten Filme stammen von Londoner Filmemacherinnen, die mit Kostümen, Songs, hysterischen Anfällen und rosa Lippenstift an einem Perfect Image (1988) herumfeilen. Zum Ende des Films wird angekündigt, daß nun alles gut würde, weil der Zuschauer ja auch sonst so ungemütlich nach Hause gehen müßte. Deshalb singen sie, auf Schäfchenwolken mit den Augen klimpernd, „We love ourselves“ — die ernüchterte Fortsetzung von Black is beautiful im Zeitalter der eingestandenen Differenz.
Da reizte es fast zum Lachen, als eine Podiumsdiskussiom im Schweigen erstarb, nachdem aus dem Publikum moniert worden war, daß keine lesbische schwarze Deutsche auf dem Podium saß. Über diese Übungen in Mengenlehre waren die Filme längst hinaus.
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