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Wer kauft das E.S.B.?

Der Rückbau des Empire State Buildings — ein Märchen?  ■ Von Martin Kieren

Es gibt ja nicht gerade wenige Gebäude, von denen man sich wünscht, daß eines Tages jemand auf die Idee käme, sie abzutragen, abzureißen, sie — als neueste Wortschöpfung der Bauweltverbesserer — „rückzubauen“. Ach ja, unsere Liste wäre schon lang. Je höher und oller so ein Gebäude wäre, desto mehr hätten aber anschließend die mit der Ausführung dieses „Rückbaus“ beauftragten Arbeiter zu tun. Und wer je auf einer Baustelle gearbeitet hat, weiß um die vielen kleinen Schritte, die notwendig sind, um ein Gebäude zu errichten — und das alles jetzt andersherum organisieren? Puh!

Einen Versuch, diesen „Rückbau“ genannten Abriß an einem der exponiertesten Gebäude der USA vorzuführen, unternimmt in seinem neuesten Buch der berühmte Autor und Zeichner David Macaulay. Seit Jahren bearbeitet er immer wieder Themen des Bauens, der Stadt. So konnten wir den Bau einer Kathedrale verfolgen, aber ebenso die Situation einer fiktiven Stadt — wie sie sich unter den Häusern zeigt — durchfahren, durchwandern und also die „Unterwelt“ uns anzueignen versuchen. Dabei war die Mischung aus berauschenden Perspektiven und Detailtreue des Dargestellten das Markenzeichen Macaulays. In seinem neuen Buch erzählt er in Form eines modernen Märchens die Geschichte von Prinz Ali Smith, der auf die wahnwitzige Idee verfällt, das Empire State Building in New York für seine Company zu kaufen, es abzutragen und in der Wüste wieder aufbauen zu lassen, nachdem er mit den Ergebnissen eines zuvor ausgeschriebenen Architekturwettbewerbes für ein neues Verwaltungsgebäude nicht zufrieden gewesen war.

Eigentlich ist die Geschichte nur ein kleiner Kunstgriff, um zu zeigen, wie das Gebäude konzipiert und vor allem konstruiert ist: wie das Stahlskelett in die Höhe ragt und daran die jeweiligen Decken, Außenwände und Schmuckelemente befestigt sind, die nun von den Arbeitern in Teile zerlegt und abtransportiert werden müssen. Die Aufmachung des großformatigen Buches ist wie bei allen anderen Büchern Macaulays eine Mischung aus erzähltem Märchenton und Zeichnungen.

Die Idee an sich ist gar nicht schlecht. Man kann auf diese Art einmal zeigen, daß es gewaltige Probleme mit dem Abriß von noch jedem Gebäude gibt: denn irgendwann sind alle mal dran. (Wie z.B. entsorgt man den Schutt, wenn man ihn nicht „zur Landgewinnung“ von New Jersey gebrauchen kann — wie in vorliegendem Falle? Was kann von Skyscrapern recycelt werden, wie ist der Transport der demontierten Teile organisiert? Welche Bauteile müssen zuerst abgebaut werden, um der Gefahr des Einsturzes zu begegnen? Wo sind die Soll-Bruchstellen? etc.) Trotz dieser Fragen, denen man hätte begegnen mögen, läßt einen das Buch ein wenig allein mit ihnen: Einige werden nur kurz, manche nicht richtig und viele gar nicht beantwortet.

Nun ist das auch kein Buch für einen an Abbrüchen von Gebäuden interessierten Leserkreis, wird man einwenden. Das ist richtig: aber auch als Märchenbuch und auch als eines für jemanden, der an das Problem von Bau und Rückbau von Hochhäusern herangeführt werden soll, ist es eher nicht geeignet. Überhaupt stellt sich die Frage nach dem potentiellen Leserkreis eines solchen Buches. Wie gesagt: Als Märchen hält die Geschichte nicht — es bleibt die nette Idee; als Lehrbuch ist es zu oberflächlich; als Buch mit (wirklich) schönen Bildern unbefriedigend. Man wird zudem den Eindruck nicht los, hier wolle ein Autor mit einer bislang erfolgreich erprobten Masche ein Buch mehr produzieren, schnell noch eines nachlegen. Die Idee des Verkaufs, des Rückbaus und anschließenden Wiederaufbaues des Empire State Buildings allein trägt hier aber nicht — und rechtfertigt auch nicht unbedingt ein solch aufwendiges Buch.

Dabei zeigt das Buch auf einigen Seiten wirklich schöne Zeichnungen. Vor allem die Ansichten, die — von waghalsigen Standpunkten aus — Perspektiven des Gebäudes zeigen, wie man sie sonst nur aus gut gemachten Comics kennt: angeschnittene und in 30er-Jahre-Fotomanier wiedergegebene Häuserschluchten, Fassaden- oder Baugerüst-Studien. Doch sind solche Abbildungen eher selten. Der überwiegende Teil der Feder-Strichzeichnungen ist leider langweilig und simpel: Da scheint dann das Kinderbuch durch, was es aber wiederum auch nicht ausschließlich sein will — dafür ist es auch nicht konsequent genug gemacht. Etwa wenn ein Bauarbeiter mit einem Preßlufthammer gezeigt wird: Da fehlt die Finesse. Auf einer solchen Seite wird auch der immer wieder durchscheinende Krampf und Kampf mit dem Text deutlich: „Das eigentliche Aufbrechen der Schichten besorgte ein sich rasch auf- und abbewegendes Schneidewerkzeug, das ins untere Ende der Preßluftgeräte eingeführt wurde. Ein Kolben in einer Kammer innerhalb des Gerätes schlug in raschen Stößen — immer wenn Luft in die Kammer gepreßt wurde — auf das obere Ende dieses Meißels.“ Das bleibt doch sehr abstrakt: ein Preßlufthammer arbeitet natürlich mit Preßluft — daher der Name. Der Papa darf so erzählen — aber ein Autor? Die Beschreibung des mechanischen Vorganges innerhalb einer solchen Apparatur sollte auf jeden Fall entweder aufregender, technischer oder aber absurder, witziger bewerkstelligt werden (Krimiautor, Ingenieur oder Ror Wolf).

David Macaulay aber ist Zeichner, und vielleicht wäre er gut beraten, wenn er sich für sein nächstes Buchprojekt zumindest einen Koautor suchen würde. Das, was bislang die Bücher dieses Illustrator-Autors ausgezeichnet hat, die Lust am Schauen in Verbindung mit einem heiter-didaktischen Moment nämlich, droht sonst auf der Strecke zu bleiben.

David Macaulay: Der Rückbau oder: Das unrühmliche Ende des E.S.B. Aus dem Amerikanischen von Ursula Schmidt-Steinbach. 80 Seiten Großformat, gebunden mit Schutzumschlag. Maulwurf Verlagsgesellschaft, Remchingen 1992, 39,80 DM

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