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Doch kein Epigone

■ Werner Söllners Gedichtband „Der Schlaf des Trommlers“

Es soll nicht elegisch klingen“: Die poetologische Maxime, die sich der Lyriker Werner Söllner in seinem Gedichtband Kopfland. Passagen (1988) verordnete, ist aus bitterer Ironie geboren. Denn Söllners zentrales Thema ist geradezu prädestiniert für das Elegische. Seit er 1982 aus dem Banat in die Bundesrepublik übersiedelte, umkreisen seine Gedichte in immer neuen Anläufen die Erfahrung des Landloswerdens und das Trauma der Entwurzelung.

Auch in seinem Gedichtband Der Schlaf des Trommlers wendet sich der träumerische Blick des lyrischen Subjekts zurück in die verlorene Heimat, in die versunkene Landschaft der Kindheit. Wo sich Söllner aber in früheren Texten bisweilen in eine anarchistische Formulierungswut hineinsteigerte, in weit ausgreifenden Langversgedichten gegen alle gesellschaftlichen und literarischen Begrenzungen anschrieb, dominiert nun ein durchweg melancholischer, ja fast gravitätischer Ton. Fast ostentativ wird ein altes poetisches Repertoire aktiviert: „Sie sind hier, die härteren/ die noch nicht entschiedenen Tage./ Rufe die Hunde zurück, sieh,/ wen du brauchst. Kontinente schwärzen/ den Himmel, im Mund des Befreiten bluten/ die Zweifel, ein eisiges Lid gleitet/ über das Auge des Menschen.“

Wo ist hier „der spezifische Söllner-Ton“, von dem der Kritiker der 'FAZ‘ so verdächtig schwärmte? Haben wir uns nicht eher in ein Gedicht von Ingeborg Bachmann verirrt, in Die gestundete Zeit von 1952? Der leicht erhabene Ton, der beschwörende Duktus, die ins Menschheitliche abhebende Metaphorik — alles an diesem Gedicht atmet das poetische Aroma der fünfziger Jahre. Söllners Bachmann-Paraphrase bleibt fast sklavisch ihrem Vorbild verpflichtet.

Kann das genügen? Auch in anderen Gedichten des Bandes reformuliert Söllner die Schlüsselwörter der sprachmagischen Dichtung: Nacht, Schlaf, Mohn, Asche, Staub und „schwarze Landschaft“. Der ominöse „Trommler“ des Buchtitels bleibt in jenem Dunkel raunender Andeutung, in das die hermetische Lyrik ihre zentralen Chiffren stets eintauchte. Mal erscheint der Trommler als „Hüter“ der Wahrheit, mal als geheimnisvoller Prophet, der mit Vorahnungen einer Katastrophe beschäftigt ist. Ist also der Klangzauber in Werner Söllners neuen Gedichten nur geborgt, nur spätes Echo und matter Abglanz der sprachmagischen Verse eines Peter Huchel, Paul Celan und Johannes Bobrowski? So einfach sollte es man sich mit diesen Gedichten nicht machen. Trotz einiger distanzloser Anleihen bei seinen lyrischen Vorbildern ist Werner Söllner kein Epigone, im Gegenteil. In den schönsten Gedichten seines neuen Buches (Siebenbürgischer Heuweg, Im Niemandsland, Siebenbürgisches Dorf) kann er zeigen, daß alte Stilhaltungen und Sprachgesten durchaus neu belebt, in einer emphatischen Weise aktualisiert werden können. Siebenbürgischer Heuweg, eine kritische Nach- und Gegenschrift zu Peter Huchels Caputher Heuweg, hebt an wie eine poetische Landschaftsmalerei: „Hinter den Bergen am Waldrand/ neben dem schwarzen, unruhigen Vieh/ im gelben Hornissengewölk, hier/ war ich, eingewickelt/ in die dunklen Tücher des Mittags/ unterm Wildapfelbaum.“ Bei der Beschwörung einer Landschaftsidylle bleibt es jedoch nicht. Die folgenden Strophen zerstören den Traum von der Kindheitsgeborgenheit: Natur erscheint nicht mehr als unberührter Fluchtraum, sondern als „unpoetische Landschaft“ und als Arena der Gewalt. In Huchels Caputher Heuweg ist der poetische Raum noch offen für poetische Wünsche und Sehnsüchte. Der Siebenbürgische Heuweg führt dagegen ins geschichtliche Unheil: „Seine Blutspur entlang/ unterwegs, was mich betrifft, an der Hand/ des alten Zigeuners, aus der Wunde im Gras/ in eine andere Wunde im Gras.“

Immer dann, wenn Söllner das scheinbar Anachronistische riskiert, wenn er versucht, dem lyrischen Gedicht die in der Gegenwart verlorene Emphase zurückzugewinnen, entstehen Texte von äußerster Konzentration. Wo er dagegen in ein lockeres Parlando verfällt, mit witzig-originellen Formulierungen brillieren will („als wir uns noch naß rasierten/ wie Elfenbein-Rambos/ in den Verliesen der Sehnsucht“), erreichen seine Geichte rasch die Niederungen der Stilblüte. So ist ausgerechnet das längste Gedicht des Bandes, der launige Bilderbogen aus der Schweiz, in dem Söllner seine Zeit als Stadtschreiber der Neureichen-Metropole Zug allzu gefällig poetisiert, das schwächste.

Trotz der unübersehbaren Qualitätsschwankungen gehört der Schlaf des Trommlers zu den wichtigsten Gedichtbüchern der laufenden Saison. Werner Söllner läßt sich von der gängigen literaturhistorischen Formel, die Zeit des sprachmagischen Gedichts sei unwiderruflich vorbei, nicht einschüchtern. Auch widersetzt er sich erfolgreich den normativen Dekreten seiner neo-experimentellen Dichterkollegen, die dem zeitgenössischen Gedicht buchstäbliche Zerrissenheit und formale Fragmentarisierung vorschreiben wollen. Sein vermeintlich altmodischer Sprachgestus ist poetisch widerstandsfähiger als das ganze neo-experimentelle Destruktionsprogramm, mit dem sich einige Jungdichter aus Köln und Ost-Berlin den Nimbus der Avantgarde erschleichen wollen. Michael Braun

Werner Söllner: Der Schlaf des Trommlers. Ammann Verlag, Zürich 1992, 86Seiten, 28DM.

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