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»Der Doofe aus'm Westen«

■ West-Lehrer haben es schwer, aufmüpfige Ost-Schüler für den Unterricht zu gewinnen

»Wo kommen Sie her?« Von Anfang an war der neue Erdkunde- und Geschichtslehrer »entlarvt«. Volkmar Kleemann ist vor einem Jahr in die »fremde Millionenstadt nebenan« gegangen, um die Gymnasiale Oberstufe in Berlin-Mitte einzuführen. Die Bestätigung des Senats kam jedoch erst im Oktober. Nicht zuletzt deshalb legt Kleemann Wert auf das zweite »e« in seinem Namen.

An seiner neuen Schule ist er »das Mädchen für alles«. »Sobald ich das Lehrerzimmer betrete, habe ich drei ratsuchende Kollegen um mich. Das geht vom Lohnsteuerjahresausgleich bis zur Wahl der richtigen Versicherung.«

So fühlt sich Kleemann auch schon ganz gut integriert. Geholfen hat ihm — bei Schülern und Kollegen — seine kritische Haltung zum Verlauf des Einigungsprozesses. Kleemanns Bericht fügt sich ein in das Erfahrungsmuster vieler Austauschlehrer. Ost-Lehrer haben im Westen eher Probleme mit einigen vorurteilsbeladenen Kollegen, kommen aber mit den Schülern gut aus. West-Lehrer werden von Ost-Kollegen wohl oder übel akzeptiert. Probleme bereiten ihnen jedoch die Schüler. Auch an Kleemanns neuer Schule? Dort ganz besonders: Ihr Einzugsgebiet ist eine Wohngegend, die früher in erster Linie Privilegierten zugänglich war. Und wer früher oben war, ist heute oft in Schwierigkeiten. Arbeitslos gewordene Eltern, Enttarnte gar, verlieren an Einfluß auf ihre Kinder. Der Wegfall der alten Autoritäten führte bei vielen Schülern dazu, jetzt das zu machen, was sie wollen. Nicht selten heißt es: »Wieso, wir haben doch jetzt Meinungsfreiheit?« Und so kam es zu »massiven Disziplinproblemen«, mit denen Kleemann nicht gerechnet hatte. »Ich dachte, das passiert nur einem Anfänger.« Eine Weile lang zweifelte er sogar an sich selbst. »Ein Drittel zieht sich völlig raus aus meinem Unterricht.« Doch die Garantie, nach der Schule eine Lehrstelle zu finden, gibt es nicht mehr. Es zählt die Leistung der Schüler. »Einigen ist das bis heute nicht klar.«

Wenn Kleemann sich auf die Auseinandersetzung mit solchen Schülern einläßt, ist er nicht mehr bloß der »doofe Lehrer«. Jetzt ist er zusätzlich »der Doofe aus'm Westen«. Hin und wieder gibt es für den Wessi aber auch Grund zum Schmunzeln — wie neulich beim Referat eines Siebtklässlers über Portugal. Einleitend sagte er: »Portugal ist ein klerikal-faschistischer Staat«. Sein Lehrbuch war von 1972. Arne Siebert

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