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DER KONKRETE CHARME DER ÖKOLOGIE

Tourismuskonzepte für Ostdeutschland: Mit Löwen und Giraffen im Safaripark Schorfheide oder ökotopverträgliche Führungen durch Seeadler-Brutgebiete der Mecklenburgischen Seenplatte  ■ VON CLETUS OSSING

Wo gibt es das noch in Westdeutschland: Dörfer, die am Dorfrand aufhören und nicht in Flachgebäuden der Sorte „Allmarkt“ enden: Streuobstwiesen und Wallhecken, die nicht im Rahmen eines Naturschutzprogramms der Landesregierung neu angepflanzt wurden, sondern tatsächlich noch über ein Jahrhundert gewachsenes Stück Kulturlandschaft sind? Kopfsteingepflasterte Dorfstraßen anstelle von Fußgängerzonen mit Fugenbetonsteinen? Was in der alten Bundesrepublik in dem mit Auto und Eigenheim einhergehenden Zersiedlungsprozeß verschwand: zwischen Rostock und Dresden finden Wessis ihre Jugendidylle wieder. Zumindest meinen sie das.

Ein kurzer Blick zurück in die Tage des verendenden Sozialismus: Während die einen skeptisch auf die sonderbare Mischung von Demonstrierenden in der „Heldenstadt Leipzig“ blickten, saßen die anderen bereits im Auto oder auf dem Fahrrad und erkundeten das fremde Land nebenan. Der „Charme der Fünfziger“ wurde in der verschwindenden DDR der Endachtziger gefunden, ein im Vergleich zur BRD enorm dichtes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln lud zum Verreisen ohne Auto ein. Die Ferien auf dem Immenhof kamen vom Fernsehschirm in die reale Welt zurück. Für die Wessis.

Die Ossis hingegen fuhren erst mal nach Österreich oder Italien. Als der Aufschwung Ost im neuen Deutschland ausblieb und die Trennung zwischen Ost und West sich in harter Münze niederschlug, wurden die alten Reiseziele wieder angesteuert. Nur daß mittlerweile zum Beispiel in Glowe/Rügen vom Ferienprojekt des VEB Metalleichtbau nur noch das Hinweisschild existiert, symbolträchtig überdeckt von Werbung für westdeutsches Bier. Die alte staatliche Ferienorganisation ist hinüber, die neue privatwirtschaftliche Lage trägt das Schild „Zimmer zu vermieten“. Mehr als ein magerer Nebenerwerb ist das nicht, aber ein überdeutlicher Hinweis auf ein anderes Phänomen: Wo weder Industrie noch Handel florieren, da wird der Tourismus zum Notanker.

Der eigentliche Zwist wird sich an der Frage entzünden, welcher Tourismus entwickelt werden soll. Auch für den grünen Umweltminister Brandenburgs, Matthias Platzeck, ist unstrittig, daß der Tourismus als Wirtschaftsfaktor gerade wegen des ausbleibenden Aufschwungs Ost unverzichtbar ist. Zwischen den Plänen für einen „umweltverträglichen und sozialverantwortlichen Tourismus“ (so der Titel einer Fachtagung im März in Potsdam) und Plänen etwa für die Segel-Olympiade 2000 an der Ostseeküste zwischen Stralsund und Saßnitz bestehen allerdings genau die Unterschiede, um die es geht: Soll und kann der geldbringende (Massen-)Tourismus sich verträglich für Natur und Mensch zwischen Mecklenburgischer Seenplatte und Erzgebirge entwickeln, oder werden die idyllischen Naturschönheiten Ostdeutschlands in disneyartige Ferien- und Freizeitparks eingefaßt wie Preziosen in einer billigen Fassung? Was für das Land, gilt auch für die Leute. Minister Platzeck wiederholte für seine Landsleute ein Argument, das die sanften Touristiker bisher immer im Trikont anbrachten: Die Ostdeutschen seien in Gefahr, ein „Volk von Köchen und Kellnern zu werden“. Auf Rügen hatte dieser Konflikt handgreifliche Formen angenommen: In der Bucht von Prora war eine (subventionierte) Werft aus dem Westen mit 1.200 Arbeitsplätzen geplant – aber mit abschreckender Wirkung auf die Touristen der angrenzenden Ostseebäder. Entweder Köche und Kellner oder Schweißer und Lackierer? Das ist nur vordergründig die Frage. Wenn der Tourismus Wasserski und Motorskating mit sich bringt, dazu breiter Straßen für das erhöhte Verkehrsaufkommen bedarf, dann ist die Natur und Landschaftsidylle genau so bedroht wie durch den Schiffbau. Von skurrilen Projekten wie Wintersport ausgerechnet auf Rügen gar nicht zu reden.

Das Argument der Öko-Touristologen, mit der Zerstörung eben dieser Naturidylle werde auch der Grund verschwinden, aus dem die Touristen kämen, ist daher zirkelschlüssig. Es stimmte nur dann, wenn man auf diese Form des Tourismus setzte. Genau das ist aber der Streitpunkt: Tourismus in der Natur oder im Erlebnispark?

Die Umstände lassen für beide Positionen derzeit in den neuen Ländern viele Möglichkeiten zu. Wo Flächennutzungspläne fehlen, landwirtschaftliche Flächen brachliegen, hohe Arbeitslosigkeit herrscht, da ist dem Landrat jeder Investor willkommen. Hier versuchen Freizeit-Manager das, wofür sie im Westen der Republik in vielen Gemeindeverwaltungen flugs wieder vor die Tür geschickt würden. Ein Extremfall in Brandenburg zeigt das: Bei Uetz- Paaren soll auf rund 400 Hektar Land ein Freizeitpark mit 100 Tennis- und Squash-Plätzen, Reithallen, Fitness- Studios, 600-Betten-Hotel sowie einem monströsen 72-Loch-Golf- Platz entstehen. Auf die ursprünglich mitgeplante Anlage eines Hubschrauber-Landeplatzes und eines Yacht-Hafens wurde inzwischen großzügigerweise verzichtet. Ob solch eine Anlage sich je rentiert, ist durchaus nicht sicher. Ziemlich sicher ist allerdings, daß gegen solche Dinosaurier das mittelständische Gastronomiegewerbe keine Chance hat. Der touristischen Monokultur entsprechend würde die Erlebnislandschaft aussehen: von Natur keine Spur. Daß der Großraum Berlin mit fünf Millionen Menschen freizeitmäßig versorgt werden müsse, kann solche Gigantomanie nicht rechtfertigen. Bei Hamburg oder rund um den Ruhrpott wären solche Tourismuspläne nicht mal denkbar.

Gibt es eine ökologische Alternative? Auf den ersten Blick sehen die Chancen dafür gut aus, denn die DDR hatte ein beträchtliches Areal an Naturschutzgebieten und Biosphärenreservaten hinterlassen. Angesichts der immer noch steigenden Automobilisierung in den neuen Ländern muß aber davon ausgegangen werden, daß Straßenbau- und Beschleunigungsminister Krause mit den idyllischen Alleen schon fertig werden. Auch im Westen wird der Natur durch die Landschaftszersiedlung immer weniger Raum gelassen. Das zum Vorwurf machen zu wollen wäre in Dresden genau so lächerlich wie in Gelsenkirchen. Die Attraktivität des westlichen Lebensmodells besteht gerade darin, daß jeder innerhalb des Nullsummenspiels sein Maximum an privatem Vorteil und Spaß sucht: „pursuit of happiness“ ist Grundsatz der US-Verfassung.

Wie der ökologisch und sozial verträgliche Tourismus sich entwickeln kann, hängt unmittelbar davon ab, was die Mehrheit der Leute von der Freizeit will: hohen Erlebniswert mit Löwen und Giraffen im Safaripark Schorfheide, sozialprestigeträchtiges Golfspiel auf einem der vier 18-Loch-Lawns im Fläming, sportliches Wasserskifahren auf dem Darß? Oder: ökotopverträgliche Führungen durch die Seeadler-Brutgebiete der Mecklenburgischen Seenplatte unter Vermeidung des Anschleichens an die letzten Schwarzstörche? Diese Frage besteht genauso auch im Westen.

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