: „Erde der Frauen“
Klein, aber mächtig: Terre des Femmes/ Klitorisbeschneidung für deutsche Richter kein Fluchtgrund ■ VON ULRIKE HELWERTH
In der hektisch geführten Debatte über das Asylbeschleunigungsverfahren fallen sie unter den Tisch — die Frauen. Über drei Viertel der 14 bis 15 Millionen Menschen, die sich auf der Flucht vor Bürgerkriegen, Verfolgungen, „Natur“katastrophen oder Hungersnöten befinden, sind Frauen und Kinder. Ganz wenige von ihnen gelangen allerdings asylsuchend nach Westeuropa, die allermeisten werden abgewiesen. Geschlechtsspezifische Fluchtgründe wie Vergewaltigung, sexuelle Folter, Verstoßung oder Mordversuche durch die eigene Familie und genitale Verstümmelung werden von bundesdeutschen Gerichten fast nie als Asylgrund anerkannt.
Um so erstaunlicher daher eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom November 1991: Die Zwangsbeschneidung von Männern kann demzufolge durchaus politische Verfolgung im Sinne des Artikels 16 und somit ein Asylgrund sein. Geklagt hatte ein syrisch-orthodoxer Türke. Wenn er in seine Heimat zurückkehre, müsse er zum Wehrdienst und dort seine Vorhaut beschneiden lassen. Die Bundesverwaltungsrichter hatten volles Einsehen. Zwangsbeschneidung, zu der Nichtmuslime in der türkischen Armee mit Gewalt oder durch Vortäuschung angeblich medizinischer Untersuchungen gebracht würden, erniedrige sie in ihrem „personalen und religiösen Selbstbestimmungsrecht“.
„Terre des Femmes“ (Erde der Frauen) kämpft dafür, daß Menschenrechte nicht Männervorrechte bleiben. 1981 wurde die Organisation in Lausanne von MenschenrechtsaktivistInnen gegründet, um die Gewalt gegen und die Diskriminierung von Frauen weltweit zu thematisieren. Vorrangig war damals die Klitorisbeschneidung (Infibulation) von 80 Millionen Frauen in 26 afrikanischen Staaten.
Doch weil die Terre-des-Femmes-Frauen nicht in den Ruch der „Kolonialistinnen, die kulturelle Vorschriften machen“, kommen wollten, verschob sich ihr Arbeitsschwerpunkt auf deutschlandspezifische Themen: Frauenhandel, Sextourismus, Flüchtlingsfrauen, sexueller Mißbrauch von Mädchen, Reproduktionstechnologien. Ein riesiges Feld für die wenigen Frauenrechtlerinnen, die, anders als die große internationale Kinderrechtsorganisation „Terre des Hommes“ (Erde der Menschen/Männer), nur 200 Mitglieder in der Bundesrepublik zählt.
„Rote Zora“ als Trittbrettfahrerin
Dennoch macht Terre des Femmes immer wieder von sich und ihren Anliegen reden. 1987 etwa, als sie auf die untragbaren Zustände für die Arbeiterinnen bei „Flair Fashion“, einer südkoreanischen Niederlassung der westdeutschen Adler-Bekleidungswerke AG, hinwies. Zwar stritt die Firmenleitung ausbeuterische Arbeitsbedingungen und sexuelle Übergriffe auf die Beschäftigten kategorisch ab, ließ sich auch durch einen Streik für Lohnerhöhungen, bei dem zwölf Arbeiterinnen entlassen wurden, nicht rühren. Als aber in mehreren westdeutschen Adler-Filialen Feuer Sachschäden in Millionenhöhe verursachte, lenkte man ein. Zu den Anschlägen bekannte sich die militante Frauengruppe „Rote Zora“, eine Unterstützung, die bei Terre des Femmes Kritik und Diskussionen hervorrief.(Ja, ja, der Widerspruch zwischen bürgerlicher und revolutionärer Frauenbewegung zieht sich durch die Jahrhunderte. Auch Erfahrungen machen nicht klüger, d. S.!)
Vor einigen Wochen wurde in der Nähe von Freiburg das erste bundesdeutsche Frauenflüchtlingshaus eröffnet. „Villa Courage“ bietet Platz für 15 ausländische Frauen und deren Kinder. Derzeit leben zwei Philippinas dort, die mit ihren Kindern vor ihren gewalttätigen deutschen Ehemännern geflohen sind. Finanziert wird das Projekt privat. Die Berliner Stiftung „Umverteilen!“ hat das Gebäude gekauft, Renovierung, Pacht und Unterhalt bezahlen SpenderInnen, die Honorare für zwei Betreuerinnen sicherte bis Mitte des Jahres der Weltgebetstag der Frauen. ABM-Anträge wurden bisher abgelehnt — die Stadt Freiburg hat kein Interesse.
Im vergangenen Mai, nach zehn Jahren unbezahlten Ehrenamts, konnte Terre des Femmes — dank finanzieller Unterstützung der evangelischen Kirche — in der Innenstadt von Tübingen ein kleines Info- und Aktionsbüro eröffnen. Auf ABM- Basis beantworten zwei Mitarbeiterinnen Anfragen, knüpfen weltweit Kontakte zu Frauenrechtsgruppen, publizieren, protestieren.
Die genitale Verstümmelung von afrikanischen Frauen hat wieder neue Aktualität bekommen und zwar durch einen aufsehenerregenden Prozeß letztes Jahr in Paris, bei der ein Mann aus Mali und seine erste Frau wegen der Beschneidung ihrer sechs Töchter zu fünf Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurden. Die Beschneiderin bekam fünf Jahre ohne Bewährung. Seit zehn Jahren kämpfen französische Ärztinnen und Frauenrechtlerinnen gegen diese auch unter AfrikanerInnen in Frankreich praktizierte „kulturelle“ Tradition. Terre des Femmes wurden Gerüchte zugetragen, daß auch in Deutschland GynäkologInnen Beschneidungen ausführen sollen, um so den Mädchen, wenn schon nicht die Verstümmelung, so doch wenigstens einen oft narkoselosen und lebensgefährlichen Eingriff zu ersparen. Terre des Femmes ruft dazu auf, GynäkologInnen zu befragen, ob ihnen derartige Fälle bekannt sind.
„Die Beschneidung fällt unter die Menschenrechtsverletzungen, wie sie von der Genfer Konvention definiert wurden.“ Zu dieser Auffassung gelangte vergangenes Jahr die oberste französische Asylbehörde. Der Hintergrund: Eine 22jährige Frau aus Mali, die nach Frankreich geflüchtet war, um der von Eltern und Bräutigam erzwungenen Beschneidung zu entkommen, hatte zum ersten Mal in einem westlichen Land ihren Asylantrag mit „der massiven Bedrohung“ ihrer „körperlichen Integrität“ begründet. Zehn Monate ging der Fall durch alle Instanzen. Der Antrag aber wurde abgelehnt — wegen, so die Begründung, Unüberprüfbarkeit der Geschichte.
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