: Nachbesserung wider besseres Wissen
■ Westliche Nachrüstung kann wesentliche Mängel der Ostreaktoren nicht beseitigen
In Osteuropa laufen derzeit insgesamt 42 russische Druckwasserreaktoren der Typenreihe VVER, 20 weitere sind in Bau. Außerdem sind noch 15 Reaktoren der Baureihe RBMK (Tschernobyl-Typ) in Betrieb. Besonders die letzten gelten selbst in der Atomindustrie als nicht nachrüstbar. Greenpeace fordert die Abschaltung aller Ostreaktoren. Und nach Meinung des regierungsnahen Geschäftsführers der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Adolf Birkhofer, müßten mindestens vier Reaktoren in Rußland, vier in Bulgarien und zwei in der CSFR umgehend stillgelegt werden.
Den osteuropäischen Reaktoren fehlt gemessen am westlichen Standard vor allem der Sicherheitsbehälter (containment), ein Betonmantel, der den gesamten Reaktorblock umgibt und sowohl gegen Einwirkungen von außen schützen soll als auch das Entweichen von Radioaktivität verhindern soll. Das Notkühlsystem der Meiler in den osteuropäischen Staaten ist nur für kleinere Lecks ausgelegt, ein großer Rohrbruch könnte schnell zur atomaren Katastrophe führen. Auch die Brandschutzvorkehrungen in den Ost-AKWs entsprechen nicht westlichen Standards. Diese grundsätzlichen Mängel sind durch den Einbau westlicher Technologie nicht zu beheben.
Die große Anfälligkeit der Ostmeiler für Unfälle ist angesichts des Sicherheitsstandards besonders bedenklich. Nach Angaben des russischen Atomministeriums ereigneten sich allein 1991 in russischen AKWs 165 Störfälle, 107 bei den VVER-Reaktoren und 58 bei RBMK-Blöcken. 45 Störfälle führten zu Schnellabschaltungen, zwei Störmeldungen stuften die Russen als ernsthaften Zwischenfall ein.
Die 15 RBMK-Reaktoren können neben der Stromerzeugung durchaus zur Gewinnung von Waffenplutonium genutzt werden. Eine lückenlose Kontrolle des Betriebs ist nicht möglich, so daß eine Abzweigung von Bombenmaterial oder die gezielte Produktion von Komponenten für den Bau von Atomwaffen leicht ist. Auch aus diesen Gründen hatte die UdSSR den RBMK- Typ nur auf eigenem Territorium betrieben und an kein anderes Land geliefert.
Das Bundesumweltministerium kommt in einem acht Monate alten Bericht zur Sicherheit der Atomkraftwerke in den Staaten Osteuropas zu dem Schluß: „Nach hiesigen Sicherheitsanforderungen sind Reaktoren vom Typ RBMK grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. Auch durch Nachrüstmaßnahmen kann die Erfüllung des ... in der Bundesrepublik Deutschland vorgeschriebenen Sicherheitskonzepts nicht erreicht werden.“
Der russische Umweltminister Victor Danilov-Danilian gab in einem Gespräch mit Greenpeace-Atomexperten zu: „Ganz ohne Zweifel dürfen die RBMK-Reaktoren, die stillgelegt werden, nicht durch neue ersetzt werden. Sie müssen einzig und allein mit Energieeinsparung kompensiert werden.“
Felix Matthes vom Öko-Institut hält auch die VVER- Reaktoren der ersten und zweiten Generation für nicht nachrüstbar. Für Druckwasserreaktoren der Baulinie VVER-1000 erscheint die prinzipielle Nachrüstbarkeit zwar technisch möglich, die Kosten dafür dürften jedoch denen eines Neubaus entsprechen. Darüber hinaus weist Matthes auf ein völlig unterbewertetes Sicherheitsrisiko hin. Die osteuropäischen Staaten befinden sich in einem langwierigen und äußerst schwierigen Prozeß der Umgestaltung, der zu harten Belastungen der Bevölkerung führt. Unter diesen Bedingungen ist sogar erpresserische Sabotage nicht unmöglich. Lothar Langer
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