: Ohne Deckung
■ documenta-Teilnehmer Via Lewandowsky in der Galerie Sonne
Mißbildungen, Verstümmelungen, Abnormitäten sind die bevorzugten Bildgegenstände von Via Lewandowsky. Der 1963 in Dresden geborene Künstler nähert sich der geschundenen Kreatur und dem deformierten Körper zum Glück nicht wie viele seiner Kollegen aus dem Osten im Stile eines kitschigen Neoexpressionismus. Statt dessen nimmt er sich altertümliche Drucke aus dem 19.Jahrhundert oder Fotos aus medizinischen Fachbüchern der dreißiger Jahre zum Vorbild. Die dort vorgefundenen Bilder zeichnet er mit dem Bleistift akribisch nach oder druckt sie nach der Bearbeitung mit einem Computer auf Stoff. Dann stellt er sie in den Zusammenhang einer Installation.
Dieser Vorgehensweise folgt auch seine aktuelle Ausstellung in der Galerie Sonne. Zu sehen sind neun große Bleistiftzeichnungen naturschöner Fossilien. Unter den Zeichnungen sind kleine Holzkonsolen angebracht, auf denen weiße Tücher liegen, die mit gerasterten Computerbildern bedruckt sind. Mißgebildete Säuglinge und Embryonen sind zu sehen: Fehlgeburten. Das helle Holz der Wandarbeit harmoniert hervorragend mit dem schönen Parkettfußboden der Galerie.
Auch falls anderes beabsichtigt sein sollte: Schockwirkung besitzen die Arbeiten nicht im geringsten. Die handwerklich saubere Schwarzweiß-Reproduktion der antiquarischen Vorlagen schmeckt nach Fleißarbeit und erzeugt eher blasse Erinnerungen an verstaubte Schautafeln in alten Klassenzimmern. Das bloße Nachzeichnen von Bildvorlagen und die schnell durchschaubare Verfremdung des Materials scheint als Methode zu simpel, als daß sich ein Überraschungseffekt einstellen könnte.
Der etwas gesucht klingende Titel der Ausstellung — »Diplopie« — hilft auch nicht recht weiter. Gemeint ist das »gleichzeitige Sehen zweier Bilder von einem einzigen Gegenstand«, wie die Einladungskarte freundlicherweise erklärt. Das soll scheinbar heißen, daß hier etwas nicht zur Deckung zu bringen ist, daß es zwei nicht identische Sichtweisen auf dasselbe Ding gibt. Soll das verkrüppelte Kind ein Fossil sein? Oder die Natur eine Mißbildung?
Als einziges Ausstellungsstück fällt ein etwa schulterhoher Holzzylinder auf, der merkwürdig unbeholfen wirkt. Auf ihm ist ein kleiner Stengel montiert, der durch einen Motor in unregelmäßigen Abständen in eine kreisende Bewegung versetzt wird. Von der Decke her ragt ihm ein zweiter Stengel entgegen, der sich ab und zu ebenfalls im Kreis dreht. Der Zeittakt der Bewegungen ist asynchron und nicht aufeinander abgestimmt. Ein wenig erinnert diese Vorrichtung an ein Schul-Experiment zur Darstellung von Elektrizität im Physikunterricht, wo zwischen zwei Elektroden eigentlich ein elektrischer Funken überspringen sollte.
Es wäre tatsächlich eine Einsicht, wollte Lewandowsky mit dieser Skulptur fehlgeschlagene Kommunikation versinnbildlichen. Von seinen Arbeiten geht keine Spannung aus, kein Funke springt vom Bild zum Betrachter über. Unter diesem Aspekt könnte Diplopie bedeuten, daß künstlerische Vision und die Wirklichkeit der Bilder auseinandergefallen sind und nicht zur Deckung gebracht werden konnten. Werner Köhler
Galerie Sonne, Kantstraße138, bis zum 29.8., Di.-Fr. 11-13, 15-18.30Uhr.
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