■ PORTRAIT: Das tapfere Schneiderlein
Winzig, lustig: Boxer Mario Loch
Schöne Menschen, sportiv und prominent, sollen den Daimler-Klub in Barcelona bevölkern. Menschen, die zur S-Klasse passen, solche, die mit der automatischen Fensterhebeanlage geboren wurden. Doch ausgerechnet ein kleiner Punker — vorne Mecki, hinten Zopf — ist der meistbegrüßte Gast im Schwabenklub.
Mario Loch, kleinster und lustigster aller deutschen Boxer, kommt fast jeden Abend, um sich zu amüsieren: „Die gucken alle so schön blöd, weil ich so klein bin und so jung aussehe. Und wegen der Haare.“ Die wunderbar lange Matte fiel dem olymischen Turnier zum Opfer: „Die hingen immer aus dem Kopfschutz raus und flogen hoch, wenn ich eine draufgekriegt hab. Da wußte jeder Richter gleich: Aha, Treffer, Punkt. Das mögen wir doch nicht!“
Anfangs hielten ihn alle für Manfred Klein, den Steuermann des Ruder-Achters. Der allerdings überragt den 164 Zentimeter kleinen Boxer um einen Kopf. „Früher mußte ich mir meine Klamotten immer selber schneidern, in meiner Größe gab's nur Kindersachen. Aber zum Glück bin ich noch ein Stückchen gewachsen.“
Der Facharbeiter Mario, der außerhalb des Rings halbtags auf dem Bau malocht, mag den Mercedes- Klub, weil er dort umsonst telefonieren kann. „Irgendwie muß ich ja meinen Spaß haben, sonst denk ich immer nur ans Essen.“ Das Fliegengewicht muß leiden, sprich: Gewicht machen. Nichts essen, nichts trinken, an wettkampffreien Tagen bekommt er ein paar Salatblätter.
Das Festmahl einer Schnecke. Höchstens 51 Kilo dürfen an seinen 1,64 Metern hängen, kein Gramm drüber. Mario haßt die Diät. Deshalb will er auch in Gera bleiben, wo er zwar in der 2. Liga, aber in einer höheren Gewichtsklasse (Bantam) boxt. Viel Geld hatten ihm die Klubs aus Halle und Frankfurt/Oder geboten, als Loch 1991 „den Hosenbund zusammennahm“ und überraschend Vize-Europameister wurde. Doch der lustige Boxer raubt jedem noch so gewieften Abwerber den letzten Nerv: „Muß nicht sein“, winkt er strahlend ab. „Das kann man doch nicht machen, einfach sagen, okay, da krieg ich mehr Kohle, jetzt hau ich ab. Ich fühl mich sauwohl in Gera, da kennt mich jeder, die tun alles für mich. Wenn ich weggehe, dann geht doch der Verein kaputt!“
Die erste Olympia-Runde hat er bereits hinter sich, er besiegte den Thailänder Khadpo Vichai und muß erst am Samstag wieder den Kopf hinhalten. Doch selbst wenn er eine Medaille holt („Dazu bin ich hier“), will er auf jeden Fall in Gera bleiben — er wäre der einzige Olympiasieger in der zweiten Liga. Aber was Besonderes ist er ohnehin. miß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen