: Der Krieg rückt näher
■ betr.: "SOS Rutschgefahr" (Momorandum aus der Friedensbewegung), taz vom 12.8.92
betr.: „SOS Rutschgefahr“ (Memorandum aus der Friedensbewegung), taz vom 12.8.92
Könnt Ihr bitte dafür sorgen, daß sich den in Eurer Dokumentation veröffentlichten noch viele weitere Unterschriften anschließen? Verschickt zum Beispiel — oder laßt eine der angegebenen Organisationen verschicken — den Memorandumtext mit Unterschriftsmöglichkeit an alle Eure AbonnentInnen und berichtet einige Zeit lang über die Zahl der eingegangenen Unterschriften. Es wäre — sicher nicht nur für mich — interessant zu sehen, wie breit die Unterstützung des Memorandums innerhalb der taz-Leserschaft ist. Lutz Roemheld, Fröndenberg
Es folgt der Versuch einer zusammenfassenden Übersetzung des Memorandums: Unter den jetzigen Bedingungen ist der Einsatz von UNO- Blauhelmen stets mit der Gefahr einer Eskalation verbunden. Aus diesem Grund müßte ein Blauhelm- Korps gebildet werden, in das Individuen aller Länder individuell — nach Ableistung einer gewaltfreien Grundausbildung — eintreten können. Die Grundausbildung — und konsequenterweise auch die Einsätze einer solchen Friedenstruppe — müssen gewaltfrei sein, weil wir Gewalt (auch Gegengewalt!) in jedem Fall für unakzeptabel halten und daher ablehnen.
Das Dritte Reich und die nordkoreanische Invasion Südkoreas 1950 sind keineswegs Gegenbeispiele: Diese Konflikte hätten auch nichtmilitärisch gelöst werden können; das hätte lediglich ein paar Jahrzehnte länger gedauert.
Die Frage, ob ein solches UN- Korps, wie wir es vorschlagen, sich auch wehren darf, falls es selbst angegriffen wird, stellt sich eigentlich nicht. Vor kurzem wurde ein UN- Blauhelm in... wie heißt der Ort doch gleich? Ach ja, richtig: Sarajevo von einem Heckenschützen beschossen. Die Kugel blieb in der Panzerweste des Kanadiers stecken, ein anderer UNO-Soldat erwiderte das Feuer und tötete den Heckenschützen. Eine derartige Gewaltanwendung seitens der UNO-Truppen kann nicht hingenommen werden. Wir diskutieren zur Zeit, ob Soldaten in solch einer Situation (je nach Breitengrad des Einsatzortes) mit Schneebällen, Eiern oder Tomaten reagieren dürfen oder ob auch das bereits Gewaltanwendung ist. Die Diskussion wird voraussichtlich erst 1994 beendet sein, aber „Schnellschüsse“ führen zu nichts; und unter Zeitdruck getroffene Entscheidungen sind oft schlecht durchdacht. Daher fordern wir auch ein Moratorium aller Out-of-area-Entscheidungen, und die öffentliche Diskussion darüber muß so lange dauern wie irgend möglich! Wir haben sehr viel Zeit. Die Menschen in Südosteuropa werden dafür sicherlich Verständnis aufbringen. Humanitäre Hilfe reicht völlig aus. Daß kürzlich ein UN- Hilfskonvoi nach Gorazde in einem Minenfeld steckenblieb, Waisenkinder beschossen wurden und 2,5 Millionen Flüchtlinge in einem ach so fremdenfreundlichen und großzügigen Europa nicht ohne weiteres eine neue Heimat finden, darf uns dabei nicht irritieren. Das Problem wird sich früher oder später ohnehin von selbst lösen: Wozu also die Eile? Benedikt Jürgens, Münster
betr.: dito und „Vom Teufel der Ignoranz geritten“ von Christian Semler, taz vom 13.8.92
Die glänzend aseptischen Medienbilder des Golfkrieges scheinen ihre Langzeitwirkung zu entfalten. Da scheinen die Realpazifisten tatsächlich zu glauben, serbisches, kroatisches oder bosnisches Unrecht lasse sich ohne Verluste herbeibomben. Welch tödlicher Zynismus: Die europäischen Regierungen sind aus ideologischer Borniertheit nicht dazu in der Lage, die eigenen Handelsmänner vom Boykott des Boykotts abzuhalten, na dann sollen sie doch wenigstens mit ihren Soldaten ein fremdes Land befrieden.
Im Golfkrieg waren sich die Fundamentalpazifisten noch mit den Realpazifisten einig: Alle lehnten die USA als Oberbullen der kapitalistischen Weltordnung ab, lehnten die Bombenhagel über Bagdad ab. Jetzt sollen wir uns an den ersten Schritt zum finalen Rettungsschuß in Sarajevo wagen: Eurocops from Germany sollen den Lebensraum im Südosten sichern. Welch zynischer Todesmut: Je näher der Krieg uns auf die Leiber rückt, desto größer wird die Begeisterung für den Einsatz moderner Massenvernichtungswaffen.
Wir kennen diese Sorte politischer Moral aus den Anfängen dieser Republik: Wer noch einmal eine Waffe ergreife, dem solle die Hand abfallen. So sagte ein deutscher Mann, kurze Zeit später rüsteten deutsche Mannen! [...] Nicht einmal der Notruf „SOS Rutschgefahr!“ zeugt noch von einer gewaltfreien Grundhaltung. Wenn vor den nächsten Bundestagswahlen der Gebrauch der Waffen, Panzer und Jagdbomber sinnlos ist, dann ist er es auch danach. Ein Staat, der nicht in der Lage ist, für die Einhaltung der eigenen Beschlüsse wie zum Beispiel des Embargos gegen Serbien zu sorgen, wird auch nicht in der Lage sein, seine Wehrmacht im Zaum zu halten.
Wehret den Anfängen! Keine Gewalt! Sagt: „Nein!“ Sonst rückt der Krieg immer näher! Christian Sternberg, Bonn
C. Semler hat vollkommen recht, wenn er eine „rationale, breit angelegte öffentliche Diskussion“ der brennenden Themen Blauhelme, out of area, fordert. Seine Behauptung indessen, die Dokumentation vom 12.8., von vielen bedeutenden Friedens-Arbeitskreisen und -forschern unterschrieben, sei vom Teufel der Ignoranz geritten, erscheint reichlich überzogen. Zum Beispiel Elmar Schmähling, der auch unterschrieben hat, ist einer der klügsten, informiertesten Köpfe unserer Friedensbewegung. So steht vielleicht etwas überzogen in der Dokumentation, der Weg in die Politik militärischer Intervention sei mit Blauhelmen und „humanitären“ Einsätzen gepflastert. Aber eine „monströse Tatsachenverdrehung“ (C. Semler) ist dies nicht, denn hinterher wird zugegeben, Blauhelme könnten auch hilfreich sein.
Angesichts der sinnlosen Bürgerkriege müssen wir meines Erachtens eine stärkere UNO anstreben; allerdings eine demokratischere mit Gewaltenteilung, so daß die für eine globale „innere“ Sicherheit zuständigen Weltpolizisten, wenn sie falsch oder überzogen handeln, vor Gericht kommen und nicht (wie nach dem Golfkrieg) als Kriegshelden gefeiert werden. So wie jeder souveräne Staat für seine innere Sicherheit Polizisten hat, braucht die UNO Weltpolizisten. Wenn das unselige Zeitalter der Wehrpflicht überwunden ist, kann doch auch ein Deutscher aus seinem eigenen freien Entschluß dort dienen. Dr.Arnold Bauer,
Garmisch-Partenkirchen
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