piwik no script img

„Ich will nicht alleine in den Knast“

Wende im Skin- und Heavy-Metal-Prozeß in Eberswalde/ Zeugen und Mitangeklagte beschuldigt  ■ Aus Frankfurt/O. Bascha Mika

Eigentlich wollte er sich die Haare wachsen lassen, andere Schuhe anziehen und auf Familie machen. Aber daraus wird wohl vorerst nichts. Zwar sprießt es wieder kräftig auf dem ehemaligen Glatzkopf, stecken Stiefel statt Doc Martens an den Füßen, aber der Rest seiner Vergangenheit bleibt dem Fascho Kay- Nando B. erhalten.

Knapp zwei Monate war er auf der Flucht. Vor vier Tagen schnappte ihn die Polizei. Gestern mußte er vor dem Bezirksgericht Frankfurt/Oder aussagen. Ihm und fünf anderen jungen Männern wird vorgeworfen, den Tod von Amadeu Antonio aus Angola verschuldet zu haben.

Im November 1990 waren sie mit rund 50 Skins und Heavys randalierend durch die ostdeutsche Kleinstadt Eberswalde gezogen und hatten drei Schwarze schwer verletzt. Einer überlebte die Attacke nicht.

Der Staatsanwalt: „Was haben Sie gedacht, als sie erfahren haben, daß Amadeu Antonio gestorben ist?“ Kay-Nando B.: „Lebenslänglich!“ Die Brüder B. waren noch in der Nacht des Überfalls festgenommen worden. Zunächst schwieg Kay- Nando und hoffte, mit einem blauen Auge davonkommen zu können.

Angeblich hatten weder er noch sein Bruder auf Antonio eingeschlagen, sondern die beiden anderen Schwarzen angegriffen. Erst als der schwergewichtige Führer der Gartzer Skins merkte, daß er zum Hauptangeklagten avancierte, verging ihm die Lust, seine Kumpels zu schützen. Gestern wollte er auspacken — sagte er. „Ich will nicht wieder alleine im Knast sitzen.“

Was er erzählte, gibt dem Prozeß eine neue Wende. Völlig unklar war bisher, wer alles um Amadeu Antonio herumgestanden und auf ihn eingeprügelt hatte. Kay-Nando B. nannte Namen. Er beschuldigte drei Angeklagte: Marek J., Steffen H. und Gordon K.; Marek J. hatte bereits selbst zugegeben, den Schwarzen mit der Faust geschlagen zu haben. Die beiden anderen hatten ihre Mittäterschaft bestritten und schienen bislang relativ unschuldig. Verschreckt saßen sie gestern auf der Anklagebank. „Alles Blödsinn!“ ärgerte sich Steffen H. in einer Verhandlungspause.

Aber Kay-Nando B. berichtete noch mehr. „Mindestens die Hälfte der Zeugen, die Sie hier gehört haben, waren alle mit dabei.“ Und alle die mit dabeigewesen wären, hätten auch zugeschlagen.

„Wo ist Tristan Dewitz? Warum ist der nicht angeklagt?“ fragte der Dicke den Richter. Der Eberswalder Neonazi Dewitz und seine Kumpane Andreas B. und Ivo G. hätten ebenfalls auf Antonio eingeprügelt. Sie waren beim Verfahren in Eberswalde bisher lediglich als Zeugen vernommen worden.

Der Prozeß wird in der nächsten Woche fortgesetzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen